Was wurde nur aus den „Goldenen Zeiten“. Sind die jetzt für immer vorbei? Kommen die einmal wieder und wo bitte kann man seinen Platz reservieren? Früher war man als Pokerspieler stolz auf Unfleiß und Untüchtigkeit. Hart und richtig arbeiten sollten die anderen und fleißig sein die wirklich Blöden. Wir hatten statt eines Jobs ein Talent und manchmal auch einen Lauf. Dann waren die Taschen voll mit Geld und es wurde noch weniger als wenig getan, weil ja auch Nichtstun irgendwie sehr anstrengend sein kann.
Heute Nachmittag beim Frühstück las ich wahrlich Erschreckendes aus der großen weiten Welt. Jackie Bibby aus dem fernen Texas überlegt seinen aktuellen Weltrekord zu übertreffen. Bei elf giftigen Klapperschlangen, die er gleichzeitig und zehn Sekunden lang an der Schwanzspitze im Mund hielt, war bisher Schluss. Jetzt hat Jackie Bibby Appetit auf das volle Dutzend und ich drücke ihm von der Ferne die Daumen. Die zweite Meldung, die mich in Angst und Aufruhr versetzte, fand ich auf Hochgepokert.com – der besten Pokerseite der Welt. Ein gewisser Herr Andrew Li aka azntracker hat in diesem gerade eben erst neu geschlüpften Jahr scheinbar so unfassbar viele Hände gespielt, dass er jetzt den „Super Nova Elite Status 2011“ erreicht hat.
Laut unserer gewöhnlich exzellent unterrichteten News Redaktion hat Mr. Li dafür an bis zu vierzig Tischen gleichzeitig gespielt. Statt Sex mit Frauen gab es einen Haarschnitt von der Mutter und mehr als eine Million Klicks mit der extra belastbaren Maus. Die Sehnenscheiden lassen grüßen. So ähnlich stelle ich mir die Hölle vor und das mittlerweile leicht ergraute Haupt schüttle ich alleine beim Gedanken an so ein Leben. Sollten mich die unbarmherzigen Dschungelprüfungen des Lebens vor die Wahl stellen, nehme ich lieber das Dutzend Klapperschlangen. Ich habe bei Facebook sicher zwölf unangenehmere „Freunde“ als diese Rasselviecher und überhaupt was sind schon zehn Sekunden Leid gegen zehntausend Bad Beats auf dem Weg zum „Super Nova Elite Status“.
Natürlich muss man mit der Zeit gehen. Zumindest wenn man es nötig hat und noch auf der Suche ist nach seinem Plätzchen im großen Weltgefüge. Bloß nicht ganz unbedeutend und unwichtig sein und auf jeden Fall etwas können, was man herzeigen und nachzählen kann. Sonst bleibt man am Ende zurückgeworfen auf sich selbst und ist, was man ist und das ist oft nicht viel. „Multitasking fähig“ ist ein Wort des Jahrzehnts und man kann es sich oft nicht leisten all die Botschaften zu überhören und muss mitschwimmen im eiligen Strudel der hektischen Ereignisse.
Aber es gibt auch kleine Botschafter der Muße in den weiten Pokerkreisen und ich erinnere mich da an eine kleine Dragan Galic Geschichte. Anlässlich der EPT Wien saß ich im großen Spielsaal an der Bar – wo ich selbstverständlich auch hingehöre – und beobachtete das Treiben. Auf der einen Seite lief nach meiner Erinnerung das High Roller Event und im rechten Flügel gab es ein mittelgroßes Side Event. Irgendwann kam dann Dragan Galic vorbei, ich winkte ihm zu und wir begannen, uns zu unterhalten. Männergespräche an der Bar über die schräg geschnittenen Stirnfransen der Kellnerin, die zu erwartende Temperatur der angeblich heiß servierten Würstchen und grundsätzliche Gedanken über das Reisen und so manches mehr.
Obwohl meine „Reads“ grundsätzlich schlecht sind und ich in der Regel nicht mal merke was alle merken, sah ich dann doch eine kleine Unruhe in den kroatischen Augen meines Gegenüber. Von einem raren Instinkt angeschoben fragte ich: „Dragan, wieso spielst du nicht Turnier?“ Und seine Antwort war: „Ich spiele Turnier. Ich spiele eigentlich zwei Turniere gleichzeitig ehrlich gesagt.“ So ist das halt mit der kroatischen Höflichkeit, die ich so schätze. Da unterbricht man keine älteren Herren, wenn die mal ins Reden kommen und deshalb gab ich Dragan die Hand zum Abschied und er ging los. Aber kein Hasten im Schritt, keine hektische Eile. Gemächlich und souverän wie es sich gehört als Pokerspieler und deswegen hat Dragan Galic auch meinen Respekt. Über Mr.Li hingegen wundere ich mich und Jack Bibby suche ich gleich bei Facebook. Vielleicht gibt er mir Tipps wegen den Klapperschlangen. Von denen bin ich sonst im Leben auch umgeben, wie es scheint. Da lerne ich gerne dazu.
G.Schrage
Mehr zu Mr. Li, der als erster Spieler den Supernova Elite Status 2011 erreichte, gibt es hier …