„Fußball ist, wenn man in der Pause für ein Würstchen anstehen muss.“ (Yves Eigenrauch, ehemaliger deutscher Fußballspieler)
Was habe ich Schalke 04 gehasst? Grundlos und aus purem Opportunismus. Frühkindlich manipuliert und verzogen, und wenn einmal die Saat gesät ist, ändert ein Schrage nicht so leicht seine Haltung. Mein seliger Opa ist schuld aus frühen Bochumer Tagen. Statt zum angesagten Spaziergang in den Wald, um sich die spannenden und mit Wasser gefüllten Bombenkrater anzusehen, ging es in die nächste Gastwirtschaft. Wie ein dressiertes Äffchen wurde ich vorgeführt, und wenn ich brav kooperierte, durfte ich den Schaum von einer Berliner Weißen trinken.
Selbstverständlich musste ich Stillschweigen schwören und habe auch 46 Jahre lang dicht gehalten. Nur bitterer Bierschaum war mir schon als Vierjähriger nicht genug. Ich wollte aufs Ganze gehen, ich wollte zum spannend blinkenden Automaten, der mich aus der dunkeln Ecke der Kneipe so verführerisch anfunkelte. Sobald genug der alten Herren da waren kletterte ich auf den Schoß meines Opas und sang: „Ich sitze am Klo und habe kein Papier, da nehme ich die Fahne von Schalke 04“ – auf Wunsch auch zweimal.
Dann klopften alle zustimmend auf den Tisch und ich wurde hochgehoben zum Automaten und der wurde mit 10-Pfennigmünzen gefüttert. An die drei rotierenden goldenen Scheiben erinnere ich mich als wäre es gestern gewesen. Die drei goldenen Siebener habe ich nie geschafft, sonst wäre ich wirklich reich gewesen, so reich, wie ein Vierjähriger in diesen Zeiten nur reich sein konnte.
Jetzt ist es wieder da dieses sonderbare und höchst unerwartete Gefühl. Schalke 04 und ich jubeln synchron und schuld ist der knorrige Charme des Yves Eigenrauch. Wir sind in der Saison 1996/97. Die Ära der „Eurofighter“. Und Runde für Runde war ich dabei, um Schalke leiden zu sehen. Erst ging es gegen Roda Kerkrade und den holländischen Fußball muss man ja lieben.
Gemeinsam mit meinen türkischen und kurdischen Freunden habe ich mir in der nächsten Runde für Trapzonspor die Seele aus dem Leib gebrüllt in jenem sonderbaren Vorstadtcafé. Kein Licht auf der Toilette, aber jeden Pay-TV-Sender der Welt auf dem Bildschirm. Erfolglos gebrüllt übrigens – Schalke 04 war nicht zu stoppen. Und wesentlichen Anteilen hatte dieser unkonventionelle Verteidiger Yves Eigenrauch, der höchst individuell auf die Bälle zulief, so als ob er sich erst im letzten Moment entscheiden wollte und könnte was denn als nächstes zu tun sei. Täuschen und tarnen als Erfolgsrezept. Kann mir so richtig vorstellen, wie die arroganten Stürmer jedes Mal aufs Neue dachten, an dem hässlichen Glatzkopf komme ich locker vorbei und dann war doch jedes Mal Endstation. Und irgendwann hat er mich auch ausgetrickst – ich glaube es war in der 3. Runde gegen Brügge oder spätestens im Viertelfinale gegen den FC Valencia. Vorbei die kindlichen Schmachgesänge – ich hatte das Lager gewechselt! Und Berliner Weiße trinke ich schon lange nicht mehr.
Die Gruppe „Tomte“ hat ihm zu Ehren einen Song geschrieben. Ein großartiges Teil: „Yves, wie hältst du das aus?“ Ich hatte mal die Platte (nicht die CD wohlgemerkt) – muss ein Fan gestohlen haben und das sei ihm ab heute verziehen. Eine Lieblingszeile kann ich an der Stelle gar nicht zitieren, ich habe nur Lieblingszeilen in dem Text.
Und jetzt ist es wieder so weit. Als treuer Fan des VfL Bochum werde ich mein Herz temporär erweitern. Die Daumen werden gedrückt, bis sie blauweiß sind und wer nicht an Fußballmärchen glaubt, ist selber schuld. Jetzt wo der widerliche Magath weg ist, kann alles passieren. Ohne dunkles Mittelalter hätte es niemals eine Renaissance gegeben und für einen Champions-League-Sieg würde ich meine jahrelange Tradition brechen.
Gewöhnlich heule ich einmal im Jahr. Immer so im späten Mai oder im frühen Juni. Bochum steigt ab und ich heule. Bochum steigt auf und ich flenne. Bochum rettet sich im letzten Spiel (oder steigt im letzten Spiel auf), der Kameramann zeigt einen Jungen, der begeistert seine Fahne schwenkt und es geht schon wieder los. Für Schalke 04 breche ich vielleicht mir dieser Tradition. Ich freue mich auf den 28. Mai. Finale im Wembley Stadion und sicher genug Bier im Kühlschrank und edles Marken-Popcorn wird auch vorrätig sein. Taschentücher werde ich auch bereitlegen – sicher ist sicher.
PS: Ganz am Rande, falls es noch interessant ist. Für ein paar 10-Pfennigstücke geht da gar nichts, aber für ein EPT Main-Event-Ticket wäre ein Sangescomeback zumindest denkbar – den Text kann ich noch und die Melodie bewältige ich garantiert unfallfrei.