Der Markt für Onlinepoker – Ingo Fiedler im Exklusiv-Interview!

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In der vergangenen Woche sorgte die Veröffentlichung der Studie „Der Markt für Onlinepoker: Spielerherkunft und Spielerverhalten“ für Aufsehen (Hochgepokert.com berichtete). Ingo Fiedler (Foto) und Ann-Christin Wilcke vom Arbeitsbereich Glücksspiele der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg stellten in ihrer Arbeit neue Fakten über Onlinepoker vor und präsentierten harte Thesen. In Deutschland pokern 581.350 Deutsche regelmäßig im Internet und lassen dabei jährlich rund 378 Millionen US-Dollar bei den Online-Poker-Anbietern liegen. Eine Aussage der Forscher: „Alles deutet darauf hin, dass Onlinepoker zu den Spielen mit dem größten Suchtpotenzial gehört!“ Doch viele andere Fragen wurden bisher nicht beantwortet. Auch nicht, woher der Auftrag für die Studie kam und wer sie bezahlt hat. Ingo Fiedler, Leiter der Studie, stellte sich Hochgepokert.com im Exklusiv-Interview. Außerdem erklärte sich der Forscher dazu bereit, in Form eines Gastkommentars auf weitere Fragen unserer Leserinnen und Leser einzugehen. Sachliche und kritische Fragen zur Studie sind daher ausdrücklich willkommen!

Hochgepokert.com: Herr Fiedler, könnten Sie uns die Eckdaten Ihrer jüngst veröffentlichten Studie über den Markt für Onlinepoker nennen?

Ingo Fiedler: Im Hauptuntersuchungszeitraum von Oktober 2009 bis März 2010 haben wir insgesamt 4,6 Millionen Spieleridentitäten beobachtet. Dies waren alle Spieler, die innerhalb der 6 Monate bei den fünf Anbietern Full Tilt Poker, Pokerstars, Cake Poker, IPN und Everest Poker Cashgame gespielt haben. Laut unseren Beobachtungen machen diese circa 64,72 Prozent des Gesamtmarktes aus. Diesen Marktumsatz haben wir für ein Jahr mit 2 multipliziert. Da Turniere circa 30 Prozent des Gesamtumsatzes der Anbieter ausmachen, haben wir dies ebenfalls hochgerechnet, um schließlich das Bruttomarktvolumen von 3,6 Milliarden US-Dollar ausrechnen zu können.

Hochgepokert.com: Haben Sie denn bei Ihren Untersuchungen auch speziell Rake-Back oder Bonusaktionen berücksichtigt?

Ingo Fiedler: Wir haben den umgesetzten Rake beobachtet und diesen dann als Bruttomarktvolumen angenommen. Im Schnitt gehen davon in Form von Boni und Rake-Back circa 25 % wieder zurück an die Spieler. Der Jahresabschluss von Partygaming  liefert uns diese Information. Bei Full Tilt sind es 27 %. Bei Pokerstars beläuft es sich je nach Status auf zwischen 5% und 40 %. Dann gibt es auch noch Spieler, die sich für solche Aktionen gar nicht anmelden. Der Nettobetrag ist also der gesamte Rake abzüglich dieser durchschnittlich angenommenen 25 Prozent.

Interessant ist, dass sich weder das Spielvolumen noch das Spielverhalten zwischen den Anbietern stark unterscheidet. Lediglich Cake Poker bildet eine Ausnahme. Dort wird seltener und weniger intensiv gespielt. Auch vor dem Hintergrund, dass bei Cake Poker der Einsatz von Hilfssoftware nur begrenzt möglich ist, lässt sich daher vermuten, dass dort die Gruppe der professionellen Spieler wesentlich kleiner ist. Im Vergleich zu allen anderen Anbietern, die wir nicht untersucht haben, sind wir davon ausgegangen, dass das durchschnittliche Spielverhalten bei diesen Anbietern identisch zu dem der beobachteten ist.

Hochgepokert.com: Wie sind Sie bei der Datensammlung vorgegangen?

Ingo Fiedler: Zunächst sind wir mit Pokerscout in eine Kollaboration getreten, welche für uns eine Software geschrieben haben. Dieses Programm öffnet die Lobby der fünf Pokeranbieter und zeichnet automatisch die dort angegebenen Daten auf. Man sieht dort zum Beispiel, wer mit wie viel Geld an welchen Tischen sitzt, wo die Spieler herkommen, welche Limits sie spielen und ob sie Single- oder Multitabling betreiben. Anhand der Datumsaufzeichnung kann man dann ableiten, wie lange und wie oft sie gespielt haben. Wenn jemand zum Beispiel eine Stunde lange bei Pokerstars einen Tisch NL 100 Shorthanded gespielt hat, dann hat er im Schnitt 6,56 Dollar an Rake an den Anbieter gezahlt. Wir haben also die Spieldauer auf den einzelnen Limits mit den durchschnittlichen Rakezahlungen je Spielvariante, Limit, Tischgröße und Anbieter verknüpft. Mit „Verlusten“ meinen wir also nur die Zahlungen an den jeweiligen Anbieter. Nicht aufgezeichnet wurde hingegen, was an den Tischen zwischen den Spielern passiert. Es sei außerdem erwähnt, dass wir nur Cash-Game-Spiele aufgezeichnet haben und keine Turniere.

Hochgepokert.com: Wer hat denn die Studie in Auftrag gegeben und finanziert?

Ingo Fiedler: Die Stadt Hamburg hat die gesamte Studie finanziert. Im Glücksspielstaatsvertrag gibt es eine Verpflichtung, dass die Bundesländer Forschung zum Thema Glücksspiel betreiben müssen. Eine privatwirtschaftliche Einflussnahme gab es also nicht. Das Angenehme an der Studie war, dass uns keine Vorschriften bezüglich der Vorgehensweise oder gar des Ergebnisses gemacht wurden. Lediglich das Thema war fix. Wir konnten während der gesamten zwei Jahre Studiendauer also völlig autonom arbeiten.

Hochgepokert.com: Warum haben Sie sich gerade für dieses Erhebungsverfahren entschieden?

Ingo Fiedler: Normalerweise werden für diese Art Studien Befragungen durchgeführt. Diese sind jedoch nicht nur verhältnismäßig teuer, sondern machen gerade beim Thema Online-Glücksspiel wenig Sinn. Zum einen sind pathologische Spieler (solche, denen man ein Suchtverhalten unterstellt) per definitionem pathologische Lügner und machen daher bewusste Falschangaben über ihr Spielverhalten. Dies trifft auch auf Personen zu, die aufgrund der Illegalität des Onlinepokers Nachteile befürchten, wenn sie sich und ihr Spielverhalten offenbaren. Hinzu kommen unbewusste Falschangaben. Eine Beobachtung des realen Spielverhaltens macht deswegen genau hier am meisten Sinn.

Hochgepokert.com: Mit welchen statistischen Methoden und Programmen haben Sie in der Studie gearbeitet?

Ingo Fiedler: Die bereits genannte Software hat uns Daten geliefert, die wir dann in eine SQL-Datenbank, welche letzten Endes einige Terabyte groß war, übertragen haben. In dieser Datenbank haben wir dann Abfragen gemacht, die wir wiederum mit Programmen wie Stata, SPSS und Excel ausgewertet haben. Die statistische Methodik beläuft sich auf relativ simples Handwerkszeug wie Regressionen, Varianzanalysen sowie Berechnungen von Median-Durchschnitt und Standardabweichung. Wer ein bisschen statistische Grundbildung hat, kann die Ausführungen also problemlos verstehen.

Hochgepokert.com: In einer Pressemitteilung zur Studie ist die Rede von sogenannten „Vielspielern“. Wodurch haben Sie denn diese spezielle Gruppe identifiziert?

Ingo Fiedler: Aus der Studie geht hervor, dass nur eine kleine Gruppe aller Pokerspieler fast das gesamte Spielvolumen ausmacht. Mit „Vielspieler“ sind die oberen zehn Prozent der Spieler gemeint. Über einen Zeitraum von 6 Monaten haben wir die Spielhäufigkeit, Spieldauer pro Session sowie die Anzahl gleichzeitig gespielter Tische und durchschnittlich gezahltem Rake pro Stunde untersucht. Die Multiplikation dieser Daten liefert den Gesamtbetrag, den ein Spieler in diesen 6 Monaten gezahlt hat. Die oberen zehn Prozent haben wir dann noch etwas genauer unter die Lupe genommen. Diese spielen deutlich überproportional zum Gesamtsample (alle Pokerspieler der Plattformen zusammen). Dann haben wir uns die Frage gestellt, ob es sich dabei um pathologische oder professionelle Spieler (oder keines davon) handelt. Bei den Automatenspielern überlappen die Gruppen der exzessiven Vielspieler und der pathologischen Spieler sehr stark. Beim Poker ist dies jedoch anders. Hier spielt das Geschick eine Rolle und man kann das Spiel professionell spielen. Die Spieler kann man in der Folge jedoch nicht anhand des Spielvolumens in die Gruppen „pathologische Spieler“ und „Freizeitspieler“ aufteilen. Wir werfen in der Studie daher lediglich die Frage auf, zu welcher Gruppe ein Spieler gehört ohne sie beantworten zu können. In unserer aktuell anlaufenden Studie liefern wir jedoch Ideen, wie man diese Unterscheidung anhand des beobachteten Spielverhaltens treffen könnte.

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Hochgepokert.com: Es ist ja so, dass die Profispieler offensichtlich mehr gewinnen als die Freizeitspieler.

Ingo Fiedler: Genau. Wir gehen davon aus, dass man, je häufiger man Poker spielt, auch umso bessere Kenntnisse über das Spiel erlangt. Die Vielspieler zahlen zwar am meisten Rake, können dies aber wieder durch Gewinne von anderen Spielern (über-) kompensieren. Andere wiederum verlieren mehr als sie an Rake an den Anbieter zahlen. Deswegen können wir über den einzelnen Spieler keine Aussagen treffen, sondern nur über die gesamte Gruppe.

Hochgepokert.com: Welche Schlussfolgerungen lässt denn die Studie im Hinblick auf Umsatzentwicklung, Spielsucht und Suchtprävention zu?

Ingo Fiedler: Zunächst gilt das Glücksspielverbot, welches nicht durchgesetzt wird. Aus suchtpräventiver Sicht lässt sich ein Verbot nur dann begründen, wenn es auch durchgesetzt ist. Ein regulierter Markt ist also in dieser Hinsicht besser als ein unregulierter Schwarzmarkt. Bislang wird das Verbot von Onlineglücksspielen, wozu aus rechtlicher Sicht auch das Pokerspiel gehört (der Gesetzgeber zielt auf den Durchschnittsspieler und nicht auf den professionellen Spieler ab), jedoch nicht durchgesetzt.

Die Frage liegt jetzt also nahe, ob man dieses Verbot nun durchsetzt oder aber die Anbieter in die Legalität holt. Würde dieser Fall eintreffen, müsste eine Suchtprävention stattfinden. Eine denkbare Maßnahme in diesem Fall ist ein verpflichtendes so genanntes „Precommittment-System“. Hierbei müssen sich die Spieler selbst Limits bezüglich ihres Einsatzes, der gespielten Limits, der Spieldauer und anderem setzen. Wichtig bei einem Precommitment-System ist, dass wenig in die Konsumentensouveränität eingegriffen wird, sondern den Spielern nur dabei geholfen wird, ihre selbst gesetzten Grenzen nicht zu überschreiten und im Hot Mode Vermögenswerte zu verspielen.

Der jetzige Ansatz zur Spielsuchtprävention durch ein nicht durchgesetztes Verbot funktioniert jedenfalls nicht. Dies zeigt sich deutlich daran, dass Deutschland den zweitgrößten Markt für Onlinepoker ausmacht. Gemessen an der Bevölkerung oder der Anzahl an Internetusern spielen wir auch deutlich mehr als die Amerikaner, die absolut gesehen den größten Markt ausmachen – zumindest bis zum Black Friday. Derzeit macht es keinen Unterschied, ob es ein Verbot gibt oder nicht, denn die Leute spielen genauso viel. Meine Schlussfolgerung: Ein Verbot, welches nicht durchgesetzt wird, ist kein Ansatz!

Hochgepokert.com: Herr Fiedler, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit.

Ingo Fiedler: Sehr gerne! Ich freue mich darauf, die qualitativ hochwertigen Kommentare Ihrer Leser zu verfolgen und besonders prägnante Fragen in Form eines Gastkommentars zeitnah zu beantworten.

(Das Gespräch führte Marius Gärtner. Foto: Privat)

Ingo Fiedler, Ann-Christin Wilcke, 2011, Der Markt für Onlinepoker: Spielerherkunft und Spielerverhalten, BoD Verlag, Norderstedt, 240 Seiten, ISBN: 978-3-8423-4848-6.

Anmerkung der Redaktion: Um eine weitere gezielte Diskussion über den Themenkomplex und die Studie zu ermöglichen, wurde der Gastkommentar von Ingo Fiedler in die drei Bereiche Studie, Poker und Sucht sowie Skill-Chance-Debatte unterteilt.

Der Markt für Onlinepoker: Ingo Fiedler antwortet den Lesern von Hochgepokert.com (Teil 1)

Der Markt für Onlinepoker: Ingo Fiedler antwortet den Lesern von Hochgepokert.com (Teil 2)

Der Markt für Onlinepoker: Ingo Fiedler antwortet den Lesern von Hochgepokert.com (Teil 3)

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