Betfair hat am Freitag, den 1. Juli, Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags der Bundesländer – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – eingereicht. Der sogenannte Glücksspieländerungsstaatsvertrag, der der EU-Kommission derzeit zur Prüfung vorliegt, verstößt nach Auffassung von Betfair eklatant gegen die Vorgaben des Europarechts.
In der Presseerklärung erläutert betfair.com die einzelnen Aspekte der Beschwerde sowie der Hintergrund des Vorgehens. Wir haben für Euch die wichtigsten Details herausgepickt. Wer die gesamte Pressemeldung lesen möchte, kann dies sehr gerne unter diesem Link.
„Mit dieser Beschwerde fordert Betfair die EU-Kommission auf, die Bundesländer auf die Rechtswidrigkeit des Entwurfs hinzuweisen und diesen so abzuändern, dass er den Erfordernissen des Europarechts gerecht wird. Die Beschwerde kritisiert insbesondere folgende Aspekte des neuen Staatsvertrags:
• die Begrenzung der Anzahl von Konzessionen auf maximal sieben;
• die Konzessionsabgabe in Höhe von 16,67 % auf alle Einsätze;
• die monatlichen Höchsteinsätze (von maximal 750 Euro pro Teilnehmer);
• die Voraussetzung für die Erteilung einer Konzession sowie die Auswahlkriterien für die Auswahl zwischen mehreren geeigneten Bewerbern um Sportwettkonzessionen;
• die Beschränkungen von Form und Vertrieb von Sportwetten;
• die begrenzte zeitliche Gültigkeit der Experimentierklausel und die Übergangsbestimmungen;
• das Verbot für private Anbieter, Poker- und Kasinospiele über das Internet anzubieten.
Martin Cruddace, Vorstand für die Bereiche Recht und Regulierung bei Betfair: „Wir haben eine Beschwere bei der EU-Kommission eingereicht, da der vorliegende Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrags klar gegen die Prinzipien und Grundfreiheiten des Europarechts verstößt. Es ist wirklich erstaunlich, mit welcher Entschlossenheit die deutschen Bundesländer höchstrichterliche Urteile des EuGH missachten. Wir vertrauen darauf, dass die EU-Kommission diese offensichtlichen Rechtsverletzungen im Rahmen des laufenden Notifizierungsverfahrens thematisieren wird. Die von den Ländern festgelegten Bedingungen und Auflagen sind nicht realistisch und gehen völlig am Marktgeschehen vorbei. Würde der Gesetzentwurf in Kraft treten, würde kein Kunde bei lizenzierten Anbietern wetten.“
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Hintergrund
Der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag wurde der Europäischen Kommission am 15. April 2011 aufgrund der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften notifiziert und soll am 01. Januar 2012 in Kraft treten. Die Stillhaltefrist gemäß der genannten Richtlinie läuft am 18. Juli 2011 ab. Alle Bundesländer stimmten dem Vertrag zu – außer Schleswig-Holstein, das in der Folge seinen eigenen Gesetzesentwurf vorlegte. Zu diesem hat sich die Kommission in einer Stellungnahme – ebenfalls im Rahmen des Notifizierungsverfahrens aufgrund der Richtlinie über technische Normen – bereits zustimmend geäußert.
Auch wenn es die erklärte Absicht des Entwurfs ist, insgesamt ein kohärentes System für Glücksspiele zu schaffen, ist es offensichtlich, dass die durch den Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag eingeführten Maßnahmen gerade keine kohärente und verhältnismäßige nationale Regulierung zur Verfolgung überwiegender öffentlicher Interessen darstellen. Im Gegenteil – mit dem Entwurf wird vielmehr das Ziel verfolgt, die staatlichen Monopole/Oligopole (in den Bereichen Lotterien, Sportwetten und Spielbanken) zu schützen. Das Unionsrecht fordert, dass ein Mitgliedstaat Beschränkungen der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit durch Glücksspielregeln rechtfertigt und entsprechende Begründungen und Nachweise vorlegt. Die deutschen Bundesländer sind solche Nachweise schuldig geblieben.
Infolgedessen hat Betfair Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen den Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag eingelegt und erwartet, dass die Kommission eine kritische Stellungnahme zu dem Entwurf abgeben wird. Falls die Bundesländer den Entwurf nicht in einer unionsrechtskonformen Weise abändern sollten, wird Betfair die Kommission auffordern, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten.
Zusammenfassung der Beschwerde
Betfair geht davon aus, dass der vorliegende Entwurf aus den folgenden Gründen nicht mit der unionsrechtlichen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, Artikel 49 und Artikel 56 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vereinbar ist:
• Die Begrenzung der Anzahl der Konzessionen auf höchstens sieben ist kein geeignetes und konsistentes Mittel, um die Ziele des neuen Staatsvertrags, insbesondere das Ziel der Schwarzmarktbekämpfung, zu erreichen, und ist schlicht willkürlich. Vergleichbare Restriktionen in Bezug auf die Begrenzung von Erlaubnissen finden sich in anderen Glücksspielsektoren, wie etwa bei den Geldspielautomaten und den Pferdewetten, nicht.
• Die Konzessionsabgabe in Höhe von 16,67 % auf alle Einätze stellt eine unverhältnismäßige, nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Grundfreiheiten privater Glücksspielanbieter dar. Diese Abgabe hat erdrosselnde Wirkung und wird es privaten Anbietern unmöglich machen, wettbewerbsfähige Produkte anzubieten. Sie ist deshalb kein geeignetes Mittel, mit welchem die Regulierungsziele des Glücksspieländerungsstaatsvertrages erreicht werden könnten. Im stark umkämpften Sportwettsektor, in dem sich die Kunden nach den besten Preisen richten, sind Gewinnmargen von lediglich 1 bis 10 % üblich. Eine Konzessionsabgabe von 16,67 % würde die ihr unterworfenen privaten Anbieter unvermeidlich zur Geschäftsaufgabe zwingen.
• Der freie Wettbewerb und die weltweite Verfügbarkeit des Internets sind auch Ursache dafür, dass die lizenzierten privaten Anbieter, die den im Glücksspieländerungsstaatsvertrag vorgesehenen Einsatzhöchstgrenzen von EUR 750 pro Spieler und Monat unterworfen sind, ihrer Aufgabe, Kunden zu regulierten Angeboten hinzulenken, nicht gerecht werden können. Fixe gesetzliche Einsatzhöchstgrenzen berücksichtigen die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit der Kunden nicht – diese können solche Restriktionen im Übrigen leicht durch Wahl eines anderen (unregulierten) Anbieters vermeiden. Infolgedessen wird sich auch diese Maßnahme nicht als tauglich zur Suchtbekämpfung erweisen und stellt sich – in jedem Fall – als im Rechtssinne nicht erforderlich und auch deshalb unverhältnismäßig dar.
• Der Entwurf des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags enthält (mittelbare) Diskriminierungen der privaten (Online-)Glücksspielanbieter zum Vorteil der bestehenden staatlichen Monopolunternehmen: Die staatlichen Monopolunternehmen können viel eher die im Entwurf vorgesehenen finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Konzessionserteilung und die Kriterien für die Auswahl unter mehreren gleich geeigneten Bewerbern für die Konzessionen erfüllen. Die vorgeschlagenen Regelungen werden den Anforderungen des Unionsrechts für ein Erlaubnissystem und für die Vergabe von Ausschließlichkeitsrechten im Glücksspielbereich, wie sie der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgestellt hat, nicht gerecht.
• Die unverhältnismäßigen und inkonsistenten Beschränkungen von Form und Vertrieb der Sportwette diskriminieren ebenfalls private Anbieter. So können z.B. die Beschränkungen von Live-Wetten mit der einzigen Ausnahme von Live-Wetten auf das Endergebnis nicht mit dem Ziel der Schwarzmarktbekämpfung dahingehend in Einklang gebracht werden, dass sie eine akzeptierte und kontrollierte Alternative zu illegalen Angeboten wären. Obwohl Live-Wetten auf der einen Seite derzeit nicht von den staatlichen Anbietern angeboten werden, stellen sie jedoch auf der anderen Seite ungefähr 80 % des nicht regulierten Marktes in Deutschland dar. Ein weitreichendes Verbot dieser verbreiteten Wettform macht es den lizenzierten Anbietern unmöglich, ihr Geschäft konkurrenzfähig zu führen, denn Kunden wenden sich an andere (nicht regulierte) Anbieter.
• Mit der Begrenzung der zeitlichen Gültigkeit der Experimentierklausel auf nur sieben Jahre und den Übergangsvorschriften zu Gunsten von Staatsmonopolunternehmen und ihren bestehenden Vertriebsstrukturen, perpetuiert der Entwurf – entgegen der Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Markus Stoß, Carmen Media und Winner Wetten – jedenfalls am Anfang und am Ende der Experimentierphase in ungerechtfertigter Weise das bestehende inkonsistente Staatsmonopol für Sportwetten. Darüber hinaus führen die genannten unverhältnismäßigen und diskriminierenden Bedingungen für die Veranstaltung von Sportwetten de facto zum Ausschluss der großen Mehrheit, wenn nicht aller privater Anbieter während der Dauer der Gültigkeit der Experimentierklausel.
• Das bestehende Verbot von Kasino- und Pokerspielen im Internet wird mit einer Ausnahme aufrechterhalten: zulässig sind Kasino- und Pokerspiele im Internet, soweit sie in einer der 16 Spielbanken angeboten werden, die über eine „Offline“ Erlaubnis verfügen (d.h. in jeweils einer Spielbank pro Bundesland).
• Die für diese Maßnahme angegebene Rechtfertigung (d.h. die bessere Verwirklichung der Ziele des § 1 des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags, insbesondere die Bekämpfung des Schwarzmarktes) ist nicht tragfähig. Der bestehende Schwarzmarkt kann nicht durch den Ausschluss privater Anbieter zurückgedrängt werden. Die Ausweitung der Angebote von „Offline“-Spielbanken (die in den meisten Fällen im Eigentum der Länder stehen) ist (genauso wie die Öffnung des Internets für Lotterien und die diskriminierenden Regelungen der Experimentierklausel für Sportwetten) nur ein weiteres Element, das die bestehenden Inkonsistenzen der deutschen Glücksspielgesetzgebung verstärkt.“
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