Casino Wien (Cercle) – Ich suche den vormals dicken Herrn S. – Die fantastische Conny

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Ein guter Journalist hat gute Informanten. Ich habe meine Freunde und als ob das im privaten Bereich nicht schon schlimm genug wäre, versaut es mir jetzt auch meine berufliche Karriere. Nach meinen Ausflügen in die Pokerprovinz zog es mich diesmal in das altehrwürdige Palais Esterhazy. An einer der teuersten Wiener Adressen gelegen – mitten in der Fußgängerzone – residiert dort eine Dependance des Casinos Austria. Umgangssprachlich „Cercle“ genannt und mehr als einen Umweg wert. – Soviel seit jetzt vorab schon verraten.

Prolog: „Auf Platz Acht sitzt immer der dicke S. und hat 10 000.- E vor sich stehen. Dabei ist er gar nicht mehr dick, aber die E10 000.- stehen jeden Abend da und der ist brandgefährlich. Den musst du auslassen!“„Der dicke S. soll gefährlich sein?“ antworte ich. „An dem Tag, an dem ich mich vor dem dicken S. fürchte ramme ich mir einen japanischen Krummdolch in die Gedärme.“„Es gibt gar keinen japanischen Krummdolch, den gibt es nur im arabischen Raum“ antwortet mein Freund und hat wirklich viel Glück, dass ich ihm nicht gleich eine scheuere.

Der Plan: Ich spiele die 2/5 NL Hold gewinne viel Geld und schimpfe über alles was ich bewegt. Die Casinos Austria sind groß und mächtig und wer sich mit denen anlegt muss einfach mutig und unerschrocken sein. Also praktisch wie ich. Selbstverständlich muss ich dann auch mindestens 10 000.-E vor mir stehen haben, schon alleine, um den dicken S. vom Tisch zu prügeln.

Das Problem (die Lösung): Ich habe keine Zehntausend. Die Lösung, ich beteilige alle meine Freunde, ob sie wollen oder nicht und den Oberfreund nehme ich mit. Entweder damit er mir nach der Schlacht helfen kann die Unmengen an Jetons zur Kasse zu tragen. Oder schlimmstenfalls um mich jammernd nach Hause zu chauffieren. – Unwahrscheinlich, aber man muss für alles gewappnet sein.

Der erste Versuch: Ich komme spät. Nicht wirklich spät. So gegen Mitternacht, wenn die ersten Schlachten bereits geschlagen sein sollten. Donnerstag Abend eine laue Sommernacht, genug überirdische Parkplätze für Tiefgaragenphobiker wie mich und auf in den Kampf Kamerad! Unten am Empfang muss ich mich ausweisen. Mein letzter Besuch liegt mindestens acht Jahre zurück. Acht Jahre! Da kann man wieder draußen sein, wenn man 11 ½ Jahre bekommen und sich gut geführt hat. Ich will nicht, dass sie das glaubt, weil die junge Dame am Empfang ist hübsch, irgendwie so ein wenig orientalisch hübsch, aber das dafür richtig. „War lange nicht da. Viel zu tun gehabt. Beruflich und so.“ sage ich sicherheitshalber dazu. „Möchten Sie Begrüßungsjetons kaufen?“ fragt sie mich und ich sage „Ja“, um nichts falsch zu machen. – Sie scheint sich nicht wirklich für mich zu interessieren.

Erster Stock – Zweiter Stock – Pokerlounge. Es gefällt mir. Es ist schön, Innenarchitekten kenne ich nur aus Filmen. Da tucken sie herum und benehmen sich hysterisch. Aber der Innenarchitekt von den Casinos Austria kann was. Definitiv. Es ist schön da oben in der Pokerlounge. Schöne Farben, eine wunderschöne Bar, gute Luft und kein einziger Pokerspieler. Wir haben 00.15 Uhr, ich setze mich an die Bar. Am Oberschenkel drückt mich ein Bündel Geldscheine. Es fühlt sich gut an.

Und jetzt kommt Kellnerin Conny und fragt mich fröhlichfreundlich was sie für mich tun könnte. Ich bin verwirrt. Dunkel erinnere ich mich an die grauen Vorzeiten der Casinogastronomie. Augenbrauen hoch gezogen bis zum Haaransatz. Minimales Service zum maximalen Preis und jetzt soll ich auf einmal gut behandelt werden? – Poker ist für den Abend scheinbar schon vorbei. Wer zu spät kommt, den bestraft der Floorman oder so. Ich greife mir die Spirituosenkarte und bin gleich wieder überrascht. Exzellent zusammengestellt, für die noble Adresse fair kalkuliert und allein an der Auswahl der Single Malts könnte ich mich mittelfristig arm trinken – was nebenbei bemerkt deutlich mehr Spaß macht, als sich arm zu spielen. Ungefragt erzähle ich Conny aus meinem Leben als Journalist. Vielleicht flunkere ich ein wenig bezüglich meines wahren Fachgebietes und erkläre mich zum Gastrokritiker. Nicht wirklich gelogen, weil ich ab Herbst tatsächlich für ein Magazin als solcher verpflichtet wurde. Sie erwähnt etwas von ihrem Freund, der ein Lokal im 19.Bezirk führen oder besitzen dürfte. Ich verrate ihr nicht, dass der Arbeitstitel meiner Kolumne „Auch Psychopathen essen gerne warm“ lauten wird, bedanke mich höflich für das großartige Service und verlasse das Palais Esterhazy. Die orientalische Prinzessin am Empfang nickt mir zu. Es ist 1.45 Uhr. In der Tasche meines Sakkos klappern ein paar enttäuschte Begrüßungsjetons.

Der zweite Versuch: Samstag 22.30 Uhr. Erster Stock, Zweiter Stock – Pokerlounge. Zwei volle Tische, gespielt wird 2/5 NLH. Es ist immer noch schön, es ist immer noch sauber und mein Platz an der Bar ist frei. Conny ist auch wieder da, begrüßt mich freundlich und fragt mich, ob man mich schon für die Warteliste notiert hat. Auf Platz Acht sitzt ein junger Mann mit dünnem weißen Hemd und dünnem blonden Zopf. Ich muss meine Informanten wechseln, oder kann es gar sein, dass sich der nicht mehr dicke S. einfach vor mir fürchtet? Dafür lerne ich den neuen Gastrochef Christian Rothenbauer kennen. Wahrscheinlich hat er mich dabei beobachtet, wie ich versuchte heimlich die Whisky-Karte zu fotografieren. Egal, ich mache ihm die verdienten Komplimente, lobe ostentativ meine neue Lieblingskellnerin und verspreche auch einmal die Speisekarte zu testen (vom Arbeitstitel meiner Gastrokolumne erwähne ich besser nichts). Die Dealer nennt man hier wahrscheinlich Croupiers, aber was ich sehe, machen sie ihre Sache gut. Die Action an den Tischen ist spannend. Geld ist genug da, nur das mit dem freien Platz zieht sich.

Beinahe Easy Hold`em: Ich gehe in den ersten Stock. Begrüßungsjetons im Wert von 30.-E –  eingekauft zu 27.-E, weil wenn man schon ein Spiel ohne großen Vorteil (euphemistisch ausgedrückt) wie Easy Holdem spielen will, schadet es nicht wirklich mit einem Plus zu beginnen. Am Tisch fünf Thailänderinnen. Drei davon begrüßen mich mit meinem Vornamen, die anderen zwei nicken mir freundlich zu. Ob das als Zeugnis für untadeligen Lebenswandel zu werten ist, lass ich mal dahin gestellt. Am sechsten Platz sitzt ein dicker Ungar und flucht auf ungarisch. Gute Entscheidung wie ich meine. Ich beschließe wieder zu kommen. Easy Holdem ist sowieso eine eigene Kolumne wert. Die Pokerlounge sieht mich sowieso wieder und irgendwann gibt es auch das Testessen. Als Gastrokritiker allerdings will ich nicht erkannt werden. – Wahrscheinlich ziehe ich mir einfach hohe Schuhe an und verkleide mich als Benjamin Kang. Guter Plan!

Epilog – Ich gebe meinen Freunden anteilig  ihr Geld zurück und merke, dass sie erfreut und aufrichtig überrascht sind. Ich bin beleidigt und werde mir wahrscheinlich neue Freunde suchen. Bewerbungen bitte direkt an die Redaktion.

Götz Schrage

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