„Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“ Bertold Brecht
Das sind sie wieder. Die schrägen Gedanken frei Haus und ungefiltert. In meiner Kolumne schreibe ich alles, was man mich so lässt und alles, was ich mir so denke. Die Lektüre erfolgt auf eigene Gefahr und erhebt keinerlei Anspruch auf absolute Wahrheit. Es gebieten einfach die umfassenden Turbulenzen der letzten Monate, nochmals in Ruhe über alles nachzudenken. Wo steht Poker heute? Wo könnte Poker heute stehen? Was sind die Chancen und Perspektiven und gibt es genug qualifiziertes Pokerpersonal, wenn es darum geht nach dem großen Boom für nachhaltige Erfolge zu sorgen. – Ich habe da so meine Zweifel und ich mache mir da so meine Sorgen. Und wenn ich Zweifel und Sorgen habe, teile ich sie am liebsten mit meinen geschätzten und zahlreichen Lesern.
Bin jetzt ich das dumme Kalb, oder doch die anderen? Um in Brechts Bild zu bleiben. Abgesehen davon, haben wir Pokerkälber uns keineswegs unsere Anbieter und Veranstalter „gewählt“. Wir haben einfach genommen, was uns angeboten wurde und vielleicht nicht immer kritisch genug nachgefragt, wenn wir eigentlich hätten nachfragen sollen. Als ich jung war, gab es bei Kartenspielen aller Art eine gewisse Nähe zum Milieu. Das wusste man, das ließ sich nicht verleugnen, und über die Jahre haben sich da so manche schrullige Verbindungen zwischen Berufsständen entwickelt, die es ohne Poker niemals gegeben hätte. Wenn gut ausgebildete Akademiker mit querbeet vorbestraften Schulabbrechern über die Tücken von ein paar Zehnern vor dem Flop diskutieren, dann hat das irgendwie etwas Rührendes.
Die Jungs im Milieu haben zwar eine sonderbare Moral, aber sie haben immerhin eine. Der Typus der neoliberalen Unternehmer worldwide unlimited kennt gar nichts, außer den Drang zur Gewinnvermehrung. Abräumen, abkassieren und weiterziehen. Banken und Finanzkrise haben uns gelehrt, dass die Jungs mit schmalen, schicken Aktenkoffern vor nichts und wieder nichts Respekt gehabt. Skrupel sind ein Zeichen für Schwäche und wer tatsächlich glaubt, dass der Markt alles reguliert, negiert all diejenigen die zwingend draufzahlen, um das System am Laufen zu halten. Abgesehen davon lernt das Milieu ständig dazu. War früher der Kunde in den Bars und Clubs wirklich nur Freier, dem man am liebsten gleich beim ersten Kontakt das berühmte Weiße aus den Augen genommen hätte, und alles an Geld sowieso, hat sich da in unseren Landen eine pragmatische Kundenbeziehung gebildet. Es gibt sicher noch genug zu tun, es gibt leider immer noch genug schwarze Schafe und wir sind weit weg von der idealen Nachtwelt, aber der Trend stimmt und die Zeichen der Zeit wurden erkannt.
Es muss so in den mittleren 90ern des letzten Jahrtausends gewesen sein, neugierige BWL-Absolventen mit demGespür für neue Märkte. Das Produkt war egal, die Rendite umso wichtiger. Poker oder Plutonium, Karten oder Karotten, triple draw oder triple a, spielt keine Rolle. Die Ray Bitars dieser Welt sind tolerant, wenn die Kasse groß und Kontrolle klein bleibt. Diese zweifelhafte Liga der Manager hat keine Zeit groß nachzudenken und Nachhaltigkeit gilt als Luxus, derer die es zu nichts bringen, oder immer schon viel gehabt haben.
Natürlich bin ich langsam ein sentimentaler alter Hund, der seine persönlichen Erfahrungen allzu gerne zu allgemein gültigen Wahrheiten stilisiert. Jeder muss für sich selber wählen und den eigenen Weg finden. Ich persönlich habe durch all die Skandale und Skandälchen der letzten Zeit für mich den persönlichen Schluss gezogen. Kein Vertrauen mehr für die, die nichts mit Poker wie ich es liebe zu tun haben. Lieber beim Barbetreiber und Zimmervermieter spielen, als beim Investmentbanker und Rechtsanwalt. Die sogenannten sauberen Jungs aus der sauberen Welt haben ihre Chance gehabt und sie nicht genützt. Definitiv nicht.
Götz Schrage