Ich schäme mich. Aufrichtig, wirklich und überhaupt. Manchmal ist das Gefühl der Scham so stark, dass ich große Umwege mache um gewisse Leute nicht treffen zu müssen. Oder ich wechsle zumindest die Straßenseite und mime einen hektischen, kurzsichtigen Mann auf dem Weg zu einem wichtigen Termin. Was habe ich mir nur dabei gedacht und was habe ich für einen Schwachsinn erzählt. Ungefragt oder herablassend arrogant wie es nun mal meine Art ist. Ich hatte Unrecht wie man Unrecht nur haben kann und bei allen, denen ich mit meinen dummen Analysen auf die Nerven gegangen möchte ich mich entschuldigen. Poker ist nicht sicher. Poker ist nicht sauber. Poker ist so kaputt wie es noch nie vorher war. Räuber, Mörder, Hehler und Zuhälter konnten das schönste Kartenspiel der Welt in hundert Jahren nicht kaputt machen. Ein paar Bubis – dicke, dünne, gescheite, dumme, feige und weniger feige – bringen das ganze göttliche Pokergefüge ins Wanken. Auf der anderen Seite hilflose Businessplan-Leser mit BWL-Studium, Masterjahr, Masterkarte und Rhetorikseminar. Talentiert, wenn es darum geht Profite zu machen, aber wenn es Stress gibt hilflose Sesselpfurzer, die sich auch von elfjährigen Radfahren das Eis stehlen lassen würden und noch „Guten Appetit“ hinterherrufen. – Ich bin deprimiert. Ich sehe ein wenig schwarz. Aber, ich bin nicht ganz mutlos.
„Poker im Netz ist 100% sicher!“ habe ich jedem gesagt, der es nicht hören wollte. „Die Sicherheitsstandards sind gewaltig, weil jede Hand getrackt wird. Da kann NICHTS passieren“ habe ich dann meist noch hinter gesetzt. Und schön auch meine im Oberlehrerton vorgetragene These zur Auszahlungssicherheit: „Da wird soviel Geld verdient. So dumm kann keiner sein. Virtuelle Dollar sind sicherer, als jeder Scheck von der Schweizer Nationalbank. – Glaube mir das bitte“. – Ähnlich peinlich meine seinerzeitige Analyse der Live-Turniere: „Das sind Opfer. Keine Täter. Nichtrauchende mildes Mineralwasser trinkende Bübchen bar jeder kriminellen Energie. Harmlos wie ein Schluck temperiertes Wasser. Da kann gar nichts sein und abgesehen davon gibt es noch ein exzellent ausgebildetes Personal von Veranstalterseite. Die passen auf und die machen das gut“. – Zu meiner Verteidigung fällt mir nur ein, dass es damals nicht dieses gierige Chaos gab in der Live-Szene. Dieser Drang zu immer größer, mehr und noch mehr bis alles einstürzt wie ein babylonischer Pokerturm. Bunte Bändchen, schlampige Chipcounts, billiges Personal und streunende Unbekannte im Turnierbereich erschienen uns so unmöglich, wie betrunkene Chefpiloten und Gammelfleisch in der Haubengastronomie.
Es muss etwas passieren. Poker sollte wieder für Pokerspieler gemacht werden. Hört sich platt an, hat aber eine Bedeutung. Zumindest für mich. Ich erinnere mich an das Jahr 1994. Der erste wirklich große Jackpot in Wien. Zusammen mit ein paar Jungs saß ich vorne im Kaffee. Einer der internationalen Pros setze sich zu uns und offenbarte uns seinen Plan. Fünfzehn Spieler bräuchten wir. Sechzehnstunden Schichten und jede „jackpottaugliche“ Hand spielen. Durchchecken bis zum River. Spesen und Jackpot fair teilen. Fertig. – Maximales Unverständnis an meinem Tisch. Deswegen waren wir jetzt Berufsspieler um wie dressierte Affen Karten durchzuchecken? Das war aber maximal unter unserer Würde. Moralische Bedenken spielten keine Rolle. So manche von uns (ich selbstverständlich nicht) hätten sich wohl zu so manchem Ding überreden lassen. Aber dann bitte mit Stil. Wem Stil egal ist, der kann ja auch gleich richtig arbeiten gehen. – Und bevor jetzt wieder irgendwelche Feiglinge aus dem dunklen Keller der Kommentare kläffen. Ja es stimmt, ich habe dann zwei Jahre später den größten Jackpot aller Zeiten in Wien abgeschossen. Aber das war supersauber auf (umgerechnet) 20/40 E Limit und das Geld habe ich inzwischen schon mehrfach ausgegeben. Deswegen bitte keine Anfragen wegen Kleinkrediten und ähnlichem.
Wir traditionellen Pokerspieler sind doch in Summe ein liquides Grüppchen. Da muss sich doch auf beiden Seiten Geld verdienen lassen, auch ohne Gier. Dieses ganze System vom „Rakeback“ und „Affiliate“ ist doch in sich pervers,krank und morbid. Damit züchtet man ein Klientel von Kaffeefahrtenveranstaltern und Tuperware-Verkäufern. Wenn es betriebswirtschaftlich reicht zwei Dollar in einem Vierzigdollar-Pot zu versenken. Dann tut das bitte auch und nehmt mir keine drei Dollar weg, von denen ich einen wiederbekommen kann, wenn ich irgendwelche langweiligen Kriterien erfülle, oder hässliche Bonuscodes eingebe.
Und um mir gleich noch ein paar Freunde mehr zu machen. Dieser ganze Software-Mist wie Holdem Manager ist nach meinem Gefühl purer Betrug. Quasi ein vom Onlineroom lizensierter Trojaner. Jeder verfügbare Programmierer sollte uns Spieler vor den Anwender schützen und jeder freie Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung die juristische Verfolgung aufnehmen. – Die Onliner lassen solchen bedenklichen Mist aus zwei Gründen zu. Erstens, weil sie vom langfristigen Geschäft aber auch rein gar nichts verstehen und zweitens, weil sie das Klientel bedienen möchten, die Pokerspieler für so eine Art Beruf halten. Alles soll seine Ordnung haben, damit die Jungs es sich auch schön bequem machen können vor ihren vierundzwanzig virtuellen Tischen. Die bringen auch das vierundzwanzigfache Rake. Viele von diesen armseligen Kreaturen wollen und können ja gar nicht mehr beim eigentlichen Pokerspielen gewinnen. Das angestrebte Ziel ist (bestenfalls) pari und der „Gewinn“ ist das Rakeback am Ende des Monats. Was für eine jämmerliche Existenz. – Bevor ich von so etwas lebe (und ich spreche da im Namen aller richtigen Pokerspieler) verkaufe ich frittierte Seegurken am Strand von Porec oder lass mich zum Fusspfleger für obdachlose Alkoholiker ausbilden – das ist weniger ekelig.
Natürlich ist es extrem unsympathisch sich selbst zu zitieren, aber jetzt ist sowieso schon alles egal. Kürzlich textete ich zu einer meiner Kolumnen folgende Überschrift: „Das Versagen der Braven – Geben wir Poker den Zuhältern zurück“. Das war natürlich auch schwachsinnig naiv von mir. Es wurde zwar wirklich versagt, aber es gab keine „Braven“. Zu keiner Zeit, es gab Gierige, Dumme und Kurzsichtige, aber brav war da niemand. Wenn die aktuellen Hoffnungen in der Full Tilt Poker Dauerkrise auf der „Groupe Bernard Tapie“ ruhen, möchte ich mich (man verzeihe mir diese grobe Ausdrucksweise) ansatzlos übergeben. – Weiters will ich das jetzt auch nicht ausführen, weil wenn die Kollegen der exzellenten Hochgepokert.com News-Redaktion schreiben, dass die „Groupe Bernard Tapie“ bereits einen „Staranwalt“ angeheuert hat, meide ich zur Abwechslung mal das Fadenkreuz. – Für mich hat sich das Thema Full Tilt Poker somit auf alle Zeit erledigt. Außer die Hells Angels, die Mafia oder zumindest die Yakuza übernehmen den Verein. Dann überlege ich mir das noch einmal.
Götz Schrage