Man kennt einander. Zumindest ein wenig mehr als nur ein bisschen. Wobei Sie als Leser haben da die Nase der Erkenntnisse weit vorne. Deutlich mehr als hundert Kolumnen habe ich mich erklärt, entblättert und manchmal auch zum Pokernarren im doppelten Wortsinn gemacht. Was ich denke, wie ich empfinde und auf welche Knöpfe man drücken muss, um mich zu amüsieren oder bei Bedarf in Rage zu bringen, ist vielfach erläutert und beschrieben. Wenn Sie meine Kolumne regelmäßig lesen, kennen Sie mich, ob Ihnen das jetzt passt oder nicht. Ganz Verwegene legalisieren die Kolumnisten/Leser-Beziehung bei Facebook. Ich fühle mich jedes Mal aufs Neue geehrt und freue mich über Anfragen aus der geschätzten Hochgepokert.com-Gemeinde. Und über die Freude hinaus gefällt die bilaterale Seelentransparenz. Fair ist fair, wenn ich schon regelmäßig meine Inneres in den üblichen 6000 Zeichen nach außen stülpe, will ich im Gegenzug wenigstens ein paar Fotos vom letzten Skiurlaub sehen und Statusmeldungen über alkoholische Exzesse sind dann quasi das Bonusmaterial. – Abgesehen davon übe ich bei Facebook Treue und Milde. Ganze zwei virtuelle „Freunde“ wurden von mir verstoßen. Über den einen darf und werde ich nicht mehr schreiben, schon aus Respekt vor den endlichen Pixel-Ressourcen unseres Universums, den zweiten „Exfreund“ traf ich kürzlich in einer der legalen pokertechnischen Verrichtungsörtlichkeiten. Inspiriert von dieser Begegnung bat ich den Floorman um ein Blatt Papier und einen Stift und notierte mir meine Gedanken. Arbeitstitel: Kleinbetrug am Pokertisch im Wandel der Zeit. – Viel Vergnügen.
Grundsätzlich weiß ich fachlich erstklassige Arbeit zu schätzen. Wer mich betrügt oder bestiehlt, sich dabei artig bemüht und mit entsprechender Sorgfalt ans Werk geht, hat prinzipiell einmal meinen Respekt. Allerdings bin ich bei der Umsetzung des angewandten Halunkentums durchaus anspruchsvoll. Die Form muss gewahrt bleiben und dumme Plumpheit lehne ich mindestens ebenso ab wie plumpe Dummheit. Reinherzige Blödheit hingegen bin ich bereit zu tolerieren. So spielte ich einst in einer illegalen Runde eines semilegalen Etablissements. Der Betreiber hatte maximal acht Schuljahre mit gefühlten zwölfhundert Fehlstunden, und frönte einer gefährlichen Mischung aus Steroiden und Kokain. Dann noch der unregelmäßige Schlaf und ein paar Treffer zu viel beim Kickboxtraining. Da kann man bezüglich des Rakes den „Max. 5.-E“ Grundsatz schon mal dahingehend interpretieren, dass man in aller Unschuld fünf Euro vor dem Flop, am Flop, am Turn – und richtig geraten – am River versenkt. – Ich habe und hatte ja einige gefährliche Hobbys. Etwa durchgeknallten Zuhältern ungefragt die korrekte Satzstellung bei Verwendung des Konjunktivs Irrealis zu erläutern und auch da fühlte ich mich dem vom Pokergott gegebenen pädagogischen Auftrag verpflichtet und fing an das Procedere der „Max.5.-E“ Versenkung zu erklären. Erfolglos selbstverständlich. „Langer, ich versenke immer nur einen Fünfer. Was anderes wirst bei mir niemals sehen. Oder willst du sagen ich lüge dich an?“. – Wollte ich natürlich dann nicht und versuchte so dreinzuschauen, wie ein Mensch, der sich eben mal geirrt hatte, während der breite Junge aufhörte mich anzustarren, weil jetzt der Turn da war und der nächste Fünfer versenkt werden musste. Ich habe diesmal genau hingesehen und kann bestätigen, auch am Turn war es nur ein Fünfer.
Doch zurück zur inspirierenden Person, obwohl um gleich mit einer billigen Pointe zu starten in dem Fall auch die Beschreibung transpirierende Person durchaus zutreffen würde. Anderes deutlich niedrigeres Limit, andere Zeit und andere Lokalität. Diesmal war der Dealer der Chef der Veranstaltung und so ehrlich muss man sein, das Rake generell deutlich fairer und realistischer. Was vereinbart war an Abgaben wurde genommen, nicht mehr und nicht weniger. Allerdings schien das gebotene Trinkgeld den Vorstellungen des Dealers nicht ganz zu entsprechen und vielleicht deshalb im Wortsinn der Griff zur Selbsthilfe. Dass aus Pots gestohlen wird ist mir ja nicht ganz neu, nur lege ich auch da Wert auf geschmeidige und elegante Abläufe, alleine um meiner doch recht geschulten Wahrnehmung den entsprechenden Respekt zu zollen. Im konkreten Fall war der Vortrag ideenlos und einfältig. Marke Skikurs-Diebstahl nach der Partynacht. In der Vorbereitung wurde bei jeder Nachdenkpause eines Spielers angefangen mit einem Jeton zu jonglieren. Vielleicht um Vertrauen zu schaffen anfänglich mit einem eigenen Jeton frisch aus dem Dealer-Chiptray genommen. Kurz vor der Potzustellung wurde dann – wie bereits erwähnt der eigene – Jeton zurück ins Chip-Tray geworfen und die nächste Partie gestartet. In weiterer Anbahnung des Kleinbetruges wurde der Pot – auf dem zugegeben etwas engen Tisch – immer näher beim Dealer angelegt. So als ob er als tüchtige Servicekraft darum bemüht wäre den Spielern auch ja genug Platz für ihre Türme, Zigaretten und Karten zu lassen. Und weil es sich mit einem aus dem Pot genommenen Jeton doch mindestens genauso gut jonglieren lässt wurde auf entsprechende „Fremdwährung“ in der Artistik umgestellt. Beibehalten wurde lediglich die Angewohnheit kurz vor Potzustellung den Spieljeton ins eigene Chip-Tray zu schleudern. – Irgendwie muss ich mich verraten haben. Vielleicht ein Seufzer der Entrüstung zuviel, oder war es unbedachtes wissendes Grinsen? Zugegeben ich hatte den Platz direkt neben dem Dealer und somit einen erstklassigen Blick auf das zweifelhafte Geschehen. Jedenfalls wirkte er ein wenig ertappt und bemühte sich ab diesem Zeitpunkt seinen durchaus massigen Körper als Blickschutz zwischen mich und den Pot zu schieben indem er sich wie zufällig auf meine Seite lehnte. Übler Geruch von längst zu entsorgender Leibwäsche gepaart mit dem Odium von Bier und billigen ungarischen Zigaretten. Widerlich und in der Kombination dann doch ziemlich unerträglich – Mein Gedanke damals und mein Prinzip bis heute. Wer mich betrügen will, muss sich vorher waschen. Viel mehr verlange ich gar nicht, aber ein Stück Seife muss einfach drinnen sein. – Warum soll ein Dieb keine Spesen haben?
Götz Schrage