Stellt euch folgendes Szenario vor: Ihr spielt während der Turnierwoche einer Poker Tour vor Ort im Cash Game Bereich. Pot Limit Omaha €5/€10. Ihr macht eine kleine Pause, nehmt eure Chips und geht zum Abendessen. Als ihr zurück kommt, ist der Turnierbereich leer. Die Spieler sind ebenso verschwunden wie Tische, Chips und Personal. Ein schlechter Scherz? Nein, pure Realität!
Es klingt wie eine unglaubliche Geschichte. Bei der Russia Poker Tour in Odessa trug sich Anfang Juni folgendes zu: Beim €2.000 Main Event der RPT waren noch 14 Spieler im Turnier. Plötzliche stürmte die Polizei das Gebäude. Beschlagnahmte Chips, Tische, den Preispool und befragte vereinzelte Spieler.
Das Turnier konnte nicht fortgesetzt werden und war ein Desaster für den Veranstalter. Doch dieser reagierte mehr als angemessen, bemühte sich, zu retten was noch zu retten war. Die verbliebenen 14 Spieler im Main Event bekamen vorerst den 14. Platz ausbezahlt und das Turnier wurde verschoben. In Russland wird das Turnier nun in wenigen Tagen fortgesetzt. Und die Spieler, die noch ihre Cash Game Chips besaßen? Sie wurden alle ausbezahlt. Ein starker Zug der Verantwortlichen.
Doch warum stürmte die Polizei das Turnier? Wie fühlte es sich als Spieler vor Ort an? Wir haben mit PL-Omaha Cash Game Spezialist Christoph Haller gesprochen, der die Verhältnisse in Odessa sehr gut kennt und vor Ort war:
Tobias Falke: „Hallo Christoph, ich möchte gleich zum Punkt kommen. Das ist ja eine wahnsinnige Geschichte, die in Odessa passiert ist. Wie war das für dich, als das alles passierte? Warst du direkt am Tisch?“
Christoph Haller: „Hallo Tobi, ja das war ein starkes Stück. Ich war allerdings nicht am Tisch. Generell muss man sagen, dass es für den Veranstalter eh schon eine Herausforderung war. €300.000 waren garantiert aber nur 100 Spieler haben teilgenommen. Bei einem Buy-In von €2.000 fehlen also noch €100.000. Das vorweg. Aber dann kam es zur sensationellen Geschichte.
Ich spielte Pot Limit Omaha €5/€10 Cash Game vor Ort. Das lief bisher wunderbar. Aber beim Abendessen erhielt ich einen Anruf, ich sollte nicht zum Turnierbereich zurückkommen, weil dort die Polizei einmarschiert wäre. Wobei ich sagen muss, dass ich weiß, dass mit der Polizei eigentlich alles geregelt wurde. Also geh ich davon aus, dass dort der Zoll oder eine sonstige Behörde einmarschiert ist.„
Tobias Falke: „Und du bist dann auch weggeblieben?“
Christoph Haller: „Nein, ich bin dann natürlich hin und habe mir das von der Seite angeschaut. Die Beamten haben die Kassen beschlagnahmt, mit rund €200.000 an Spielergelder. Dann wurden noch Spieler befragt und so weiter. Es wurde zwar versucht irgendwie das Turnier weiterlaufen zu lassen, aber das war natürlich nicht mehr möglich. Im Main Event waren noch 14 Spieler, die haben alle den 14. Platz ausbezahlt bekommen. Der Veranstalter war sehr engagiert und hat ihnen Versprochen, das Main Event in ein paar Tagen in Russland fortzusetzen und das Preisgeld wird er aus seiner eigenen Tasche ausbezahlen.„
Tobias Falke: „Du hattest selbst noch Chips von der Cash Game Session in der Tasche. Was ist damit passiert?“
Christoph Haller: „Ich konnte den Betreiber ausfindig machen und mich mit ihm ein paar Tage später verabreden. Dort konnte er mir die Jetons dann in Geld wechseln. Insofern kann ich da nur gutes über den Veranstalter sagen, der sich wirklich bemüht hat, alles in den Griff zu bekommen. Er versuchte sowieso ein gutes Turnier zu veranstalten, holte Thomas Kremser als Turnierdirektor an Board, legte €100.000 beim Preispool drauf und zahlt nun nochmals die beschlagnahmten Gelder an die Spieler aus.„
Tobias Falke: Weiß man, warum die Polizei kam?
Christoph Haller: „Natürlich. Die haben die Möglichkeit gesehen, Geld zu beschlagnahmen. Es ist leider ein extrem korruptes Land, ich lebe dort seit Jahren bis zu 3-4 Monaten in Odessa direkt am Meer. Daher weiß ich sehr gut, dass die Leute dort sehr wenig verdienen und versuchen sich anhand solcher Fälle zu bereichern. Leider hört man da nur Horror-Geschichten. Die Mafia wurde zum Beispiel vor Ort rigoros von der Polizei überrannt; sie wurden erschoßen oder inhaftiert. Aber anstatt für Sicherheit zu sorgen, hat die Polizei die Rolle der Mafia eingenommen, erpresst Geschäfte und Unternehmer.„
Tobias Falke: „Hast Du da dann eigentlich keine Angst, dort zu wohnen? Bist Du noch nicht Opfer der Polizei geworden?“
Christoph Haller: „Angst habe ich keine. Ich habe gute Freunde und dadurch niemals Ärger mit den Behörden. Sollten die mal bei mir vorbeikommen, wären die ganz schnell wieder weg. Aber ich bin ja auch nur ein ganz kleiner Fisch für die.„
Tobias Falke: „Kommen wir zurück zur Russian Poker Tour. Die startete ja kurz vor der EM. Warum war sie nicht gut besucht. Man könnte doch meinen, dass durch viele Touristen, es doch den ein oder anderen Spieler nach Odessa verschlagen würde. Oder nicht? Und glaubst du, dass der Veranstalter das beschlagnahmte Geld wieder sieht?“
Christoph Haller: „Tja, das war echt schade. Normalerweise ist die RPT immer gut besucht. Das war glaube ich das erste mal, dass so wenige Spieler vor Ort waren. Das kann aber auch an vielen Gründen liegen. Zum einen, weil sich viele einfach auf Fußball konzentrieren, zum anderen sind auch viele Spieler bei der WSOP in Las Vegas.
Zum beschlagnahmten Geld: Ich halte das für ziemlich aussichtslos. Die Frage ist, was sie offiziell angeben. Wenn sie €200.000 beschlagnahmen, dann haben sie offiziell nur €50.000 beschlagnahmt, dass ist schon mal das Erste. Des Weiteren kenn ich einige Fälle, bei denen viel Geld beschlagnahmt wurden, und die haben nie das Geld zurückbekommen.“
Tobias Falke: „Las Vegas ist ein gutes Stichwort. Warum bist Du eigentlich nicht in Las Vegas, sondern in Odessa?“
Christoph Haller: „Ich habe zwar schon zweieinhalb Jahre meines Lebens in Vegas verbracht aber jetzt bin ich schon seit 8 Jahren nicht mehr dort. Das hat aber viele Gründe. Vor allem aber habe ich große Probleme bei der Ein- und Ausreise nach Amerika, da ich immer mit sehr viel Bargeld gereist bin. Da wurde ich immer wegen Geldwäsche verdächtigt, es gab immer bis zu 3-4 Stunden Verzögerung am Flughafen und so weiter. Dann wird man zu seinem Aufenthalt befragt und wenn man angibt, man ist Poker Spieler, dann fragen mich die Leute, ob ich ne Arbeitserlaubnis hätte, weil ich ja vor Ort meinen Beruf ausübe. Dann werden immer sehr rustikal meine Sachen durchwühlt. Einmal hatte ich zum Beispiel eine schöne Trophäe bei einem Backgammon Turnier in Las Vegas gewonnen. Die hatte ich sicher in meinem Koffer verpackt, aber der Zoll hatte den Koffer so auseinandergenommen, dass ich die Trophäe zerstört zurückbekommen habe, ohne dass sie ersetzt wurde. Mich ärgert es einfach, wie man da behandelt wird. Wenn ich nicht erwünscht bin, dann geh ich auch nicht mehr da hin. Da spiele ich lieber in der schönsten Zeit Europas in den schönsten Casinos Cash Game.
Momentan reizt mich da zum Beispiel das Aviation Club de France Casino in Paris, weil die einen ausgezeichneten Service haben, gute Spieler, gutes Restaurant, sehr starke Sicherheit und die Spieler gerne ihr Geld verlieren. In Wien zum Beispiel, wenn sich da jemand an den Tisch setzt, der sein Geld verballern will, verdienen 8 Leute dort ihren Lebensunterhalt damit. In Paris ist eher ein Klientel, dass auch verlieren kann, wenig Berufsspieler.“
Tobias Falke: „Vielen Dank Christoph, für deine Ausführungen und die Zeit, die du dir für uns genommen hast.“
Christoph Haller: „Alles klar, keine Ursache. Euch viel Erfolg weiterhin!“