„Hör auf mit deinen Homo-Bets“ sagt der Inder neben mir. Gerade mal knapp über der Tischkante mit den Augen und dann die dicke Lippe. Der schweigsame Vietnamese gegenüber schweigt und starrt auf sein iPhone. Der Amerikaner besinnt sich auf seine Rolle als Versuchsleiter und versucht mir Dinge zu erklären, die ich in hundert Jahren nicht wissen wollte. Der Spanier kommt zu spät und wird einstweilen als Phantomspieler geführt. Rechts neben mir sitzt der Quotenösterreicher und lacht sein gellendes Lachen, immer dann, wenn mich jemand beleidigt und ich werde ständig beleidigt. Das kommt davon, wenn man die sichere Welt der illegalen Hinterzimmer verlässt und sich als Beta-Tester für eine „Poker-App“ verpflichten lässt. Einundfünfzig Jahre habe ich jetzt mein unsauberes Leben gelebt und bin jetzt doch tief gefallen in Hölle der Nerds. „Tu was Homo“ sagt der Inder und ich starre auf mein geliehenes iPhone. Korrekter formuliert, ich starre auf einen kleinen Spiegel, der unter dem iPhone liegt und ich sehe zwei Asse „raise!“. – Alle folden. Ich habe meinen ersten „Nerd-Pot“ gewonnen und der Inder hat aufgehört zu lachen. Sehr erfreulich.
Für meine treuen Leser stelle ich mich selbstverständlich allen Gefahren und wenn Hochgepokert.com als führende Online-Seite im deutschen Pokernews-Geschäft eingeladen wird zu testen, teste ich, was es zu testen gibt. Das Prinzip ist schnell erklärt. In der Mitte liegt ein iPad, quasi als Ersatz für den Dealer. Wie von Zauberhand erscheint dort nach jeder Setzrunde Flop/Turn/River und einen Button gibt es auch. Der rutscht dann tatsächlich nach jedem Spiel eine Position weiter. Die Spieler haben statt Karten ein iPhone in der Hand. Das liegt auf einem kleinen Spiegel und wenn man das Gerät auch nur ein wenig anhebt, kann man seine Karten sehen und das sogar seitenrichtig. Wir spielen ein Sit and Go. Der Ami-Mann erläutert uns die Funktion und man merkt, er ist von Herzen begeistert bei der Sache dabei. Chips hat trotzdem jeder vor sich stehen und die kann man setzen, wenn man dran ist. Ich hebe vorsichtig mein geliehenes Handy und – man wird es mir kaum glauben – habe wieder die Asse. Der Quoten-Ösi limpt. Der freche Inder macht ein Mini-Raise und dann haue ich drauf mit meinen Assen. Alle folden. Ich glaube, ich fange an mich an das Leben als „Nerd“ zu gewöhnen. „Du kannst so viel mehr Hände spielen mit diesem App“ sagt der Ami in tadellosem Deutsch. Wehmütig denke ich an all die hübschen Dealerinnen aus meinem Leben. Wer will schon mit einem iPad ausgehen? Beinahe hätte ich laut gesagt, was ich mir wirklich denke. Lieber Sex haben im Leben anstatt 100 000 Sit and Goes mehr spielen. Ich sag das lieber nicht, weil ich Sorge habe mit dieser Ansicht alleine zu sein am Tisch.
Ich bin wieder dran, hebe ähnlich vorsichtig wie vorher das Handy und – jetzt würde es mir wohl nicht mal mehr meine Mutter glauben – ich habe wieder die Asse. Dreimal nacheinander bei drei Austeilungen. Ist das der Kolumnisten-Bonus oder so? „Wenn euch etwas auffällt, oder ihr einen Fehler entdeckt, bitte gleich melden“ sagt der freundliche Betatest-Boss. „Da stimmt was nicht!“ melde ich umgehend und drehe das iPhone um. „Da kann was nicht stimmen“ wiederhole ich eifrig:“Dreimal nacheinander die Asse“. Fassungslos starrt der Betatest-Boss auf mein Display. „Du musst doch zuerst joinen. Wenn du nicht den Join-Button drückst bist du nicht in“. „Er hat nicht gejoint“ gackert der freche Inder los. Scheinbar habe ich mit dem Startbild gespielt und da sind nun mal – wenig originell – zwei Asse abgebildet. Von der „Join“-Taste hat mir keiner was gesagt. Jetzt hat es der Österreicher auch kapiert: „Du hast gar nicht gejoint“ gehabt. Das gibt es ja gar nicht“ und dann lacht er los, als hätte er gerade Rocco Seffredi in der Herrensauna kennengelernt. „Nicht gejoint! Ich breche nieder“ der Inder wieder. Wenn ich noch einmal „Joint“ höre brauche ich wirklich einen, sonst gibt es ein Blutbad. Der Beta-Test-Boss ist mir behilflich und klickt den richtigen Button für mich. Irgendwie komme ich mir deplatziert vor. Seit Jahren hoffe ich, dass die Erfinder und Tüftler endlich ein Handy mit Wählscheibe auf den Markt bringen und stattdessen, wollen sie mir jetzt auch noch die hübschen Dealerinnen wegrationalisieren. „Du bist dran“ sagt der schweigsame Vietnamese. Ich hebe das iPhone vorsichtig und sehe schön klar abgebildet „J 6“. Schon praktisch diese kleinen Spiegel. Besonders für die Kokser, die müssen dann keine sauberen Fliesen mehr suchen oder so. „Du bist dran“ wiederholt der schweigsame Vietnamese. Der Inder gackert wieder. Wie zur Hölle foldet man seine Hand ohne aufzufallen? Den Akku rausnehmen? Gegen die Wand werfen oder was? „Fold“ annonciere ich hilflos und der Betatester-Boss schiebt mir mein Handy hilfsbereit in Richtung Tischmitte.
Unglaublich, aber trotzdem wahr. Nach diesem schlechten Start falle ich nicht weiter auf und zugegeben, eigentlich sind die anderen Jungs recht nett. Vier davon könnten meine Söhne sein und drei davon würde ich sogar adoptieren, wegen der Alterssicherung und so. Man gewöhnt sich schnell an den virtuellen Flop und immerhin hat man noch die Chips mit denen man klappern kann. Der Betatest-Boss macht sich eifrig Notizen. „Ein Geräusch beim fold wäre nett“ sagt irgendjemand. „Kann man die Handhistory speichern?“ fragt ein anderer. Der Inder macht einen Witz: „Mein iPod mini kann nur hosten“ sagt er und alle lachen. Ich verstehe kein Wort und lache auch. Einfach weil ich dieses gemeinsame nerdige Wir-Gefühl nicht zerstören möchte.“ Scheinbar kommt das Teil dann bald auf den Markt und als selbst beeideter Sachverständiger würde ich doch glatt eine Kaufempfehlung geben. Natürlich kann es niemals eine hübsche Dealerin ersetzen (schon gar keine Nu. oder Ni. – noch dazu, wenn sie im Sommer so nette knappe Teilchen anhaben. Schöne Grüße nach Prag). Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, also es ist auf jeden Fall besser, als diese jeder-dealt-sich-selbst Partien, wo fettige Karten hilflos über den Tisch flattern. Da spiele sogar ich lieber mit so einem Ding. Noch dazu, wo ich jetzt quasi als Geburtshelfer und Edeltester dabei sein durfte. Sogar eine vernünftige Frage habe ich gestellt. Zweifelsfrei eine vernünftige Frage, weil niemand gelacht hat oder so. „Wie ist denn das mit der Sicherheit, wenn es um richtiges Geld geht?“. Die Antwort habe ich mir notiert, weil sie sich so imposant anhört: „Die Daten sind ssl-verschlüsselt. Mit einem einfachen Paket-Sniffer ist es nicht getan. Man müsste schon einen „man in the middle attack“ mit einem ssl-proxy machen“. – Selbstverständlich habe ich nicht die geringste Ahnung, was das auch nur annähernd bedeuten könnte. Aber das habe ich mir ebenso selbstverständlich nicht anmerken lassen. Wenn mich die Nerds schon in ihre Kreise aufnehmen, will ich sie nicht vor den virtuellen Kopf stoßen. Jetzt muss ich nur noch auf ein eigenes iPhone sparen und den Inder verprügeln. – Ich glaube mit dem Inder fange ich an. Da klären wir gleich, wer hier der Homo ist.
Götz Schrage
Bold Poker – erhältlich im App-Store ab 6.12. 2012: €1,79 (special launch price) – später geschätzter Preis von € 4.49.