Wer Antonio Turrisi widerspricht ist entweder sehr dumm, oder sehr weit weg. Erinnere mich an spannende Diskussionen aus den noch spannenderen 90er-Jahren. Fast hätte man damals den Eindruck gewinnen können, dass es zwei Dinge gibt, die der italienische Poker-Veteran wirklich nicht leiden kann: dumme Pots gegen dumme Calls zu verlieren (und ein Call gegen Antonio Turrisi ist per Definition als „dumm“ anzusehen) und junge Menschen, die es wagen seine in perfekten italienischdeutsch vorgetragenen Thesen in Frage zu stellen. Mich trennen vom PokerStars Snowfest in Saalbach-Hinterglemm 397 Kilometer. Bei Vermeidung von Autobahnen und Mautstraßen – für eine Vignette reicht mein strapaziertes Spesenkonto nicht – müsste ich da mit knappen sechs Stunden Fahrzeit rechnen. Außer ich gerate wieder an der Salatbar einer Autobahnraststätte in Streit mit dem Geschäftsführer, dann dauert es länger (aber das ist dann wiederum eine andere Geschichte). – Jedenfalls hat Antonio Turrisi im PokerToday Interview mit einem glänzend disponierten Jens Knossalla folgendes gesagt: „Die Älteren Leute müssen sich anpassen, oder zuhause bleiben.“ Jetzt nehme ich mal meinen ganzen Mut zusammen als unangepasster Zuhausebleiber und widerspreche. Ist selbstverständlich kompletter Blödsinn. Die jungen Spieler müssen erstmal beweisen, dass sie dort noch sein werden, wo wir schon immer waren. Am Pokertisch im Casino. Quasi unserem evolutionär zugewiesenen Plätzchen in der freien Wildbahn der Chips und Karten und nur wer dort als Silberrücken immer noch Munition hat, ist wirklich gut. – So wie der knorrige Tiefstapler Antonio Turrisi.
Wobei mich bitte nicht falsch zu verstehen, nach meinen Informationen gab es immer schon junge Menschen. Das ist vielleicht auch ganz gut so, weil sonst wäre es ja auch langweilig, und die immer gleichen Gespräche am Pokertisch würden sich noch mehr im Kreise drehen, als sie es ohnedies tun. Wenn man Platon (nicht bei Hendon Mob gelistet, für alle, die in der Schule gefehlt haben) glauben darf, sollte die Jugend erst mit dem Reisen beginnen, wenn sie „die ganze Unbändigkeit des feurigen Alters“ überwunden haben und damit die „notwendige Klugheit und Geschicklichkeit“ besitzen, die man so auf Tour durch die Casinos dieser Welt eben braucht. Da hätten die Herren von der EPT aber eine schöne Freude, wenn das die jungen Menschen von heute entsprechend beherzigen würden und in so mancher Tabledance-Bar hätte es sich für immer ausgetanzt, würde sich Marius Pospiech nicht unabsichtlich (aber regelmäßig wie man dank der investigativen Gesprächsführung von Jens Knossalla weiß) in solche Etablissements verirren.
Nur jetzt bitte keine Sorge, auf keinen Fall werde ich jetzt in der folgenden Kolumne der Versuchung erliegen, mich über die unflätige Jugend zu beschweren. Es ist schön, dass sich junge Menschen für das Pokerspiel begeistern und vieles, für das uns seinerzeit der Mut gefehlt hat, wurde erst von der wagemutigen Pokerjugend versucht und manche waren dabei recht erfolgreich. Man denke nur an den inspirierten Niederländer, der schon im Vorhinein 500% seiner Turnieranteile verkauft hat und dann auch noch die Courage besessen hat, jenes EPT-Turnier zu gewinnen. Soviel sportliche Hingabe war den Betrügern meiner Generation völlig fremd. Die haben dröge und unauffällig abkassiert und sind ebenso unauffällig wieder ausgeschieden. Ich selbst war noch als Investor aktiv bei einem jungen aufstrebenden Turnierspieler, der mir regelmäßig deutlich mehr Rebuys verrechnet hatte, als theoretisch möglich waren, aber trotzdem ebenso regelmäßig ins Geld kam, so dass die Bilanz trotzdem eine positive war. Und hätte er nicht versucht, mich mit einem verrechneten Rebuy bei einem Freezeout Turnier zu überraschen, wären wir wohl heute noch ein Team.
Gerne denke ich auch zurück an jenen jungen Kiebitz, der sich mit seiner semiprofessionellen Tätigkeit auf die seinerzeitigen Seven Card Stud Highroller Tische spezialisiert hatte. Vom Einsatz und Engagement eine glatte Eins Plus. Bei Potverlust wurden Gegner und Dealer mit Nachdruck bedroht und beschimpft. Bei einem etwaigen Bluff auf die letzte Karte wurde man minutenlang von vier Augen nieder gestarrt und nach kurzer eingehender Beratung und darauf folgendem „Call“ in Doppelconference entsprechend verhöhnt. Auch das nervöse Spielen und Klappern mit den Chips gab es stets in Stereo. Wobei die virtuose Chipartistik des Edelkiebitz auch einen im weitesten Sinne beruflichen Hintergrund hatte. Wer ständig Chips zum Spielen in Händen hat, tut sich beim Stehlen einfach leichter. Irgendwann war es uns hellsichtigen und schlauen Mitspielern dann zu viel und obwohl keiner von uns dem Stammfreier jenes Kiebitzes (mit den Talenten einer Elster) freundschaftlich verbunden war, sahen wir es als unsere Pflicht da entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten. Eine entsprechende Delegation wurde gebildet und bei günstiger Gelegenheit informierten wir den leidenschaftlichen Highroller über diese unkontrollierte Minderung seines Stacks. „Natürlich weiß ich, dass er mich bestiehlt, aber was um Gottes Willen soll ich denn machen? Er bringt mir einfach so viel Glück.“
Womit ich mich elegant und schwungvoll dem Ende dieser nur scheinbar inhaltlosen Kolumne nähere. Antonio Turrisi hat mich einfach inspiriert, wieder ein Mal ein wenig über die alten Zeiten nachzudenken. Den vielen jungen Menschen da draußen in den Casinos gebührt selbstverständlich auch mein halber Respekt, und den haben sie auch – ob sie das wollen oder nicht. Den ganzen Respekt im Vollformat allerdings bekommen sie erst, wenn sie in zwanzig Jahren auch noch mit erhobenem Kinn am Spieltisch sitzen. Antonio Turrisi hat sich diesen selbstverständlich schon lange verdient. Das mal in einem etwas ausufernden Text zu formulieren, war mir jedenfalls ein Bedürfnis.
Götz Schrage