Mit Spannung wurde die zu Weihnachten veröffentlichte schriftliche Urteilsbegründung des FG Köln in dem „Fall Eddy Scharf“ erwartet. Insbesondere, da die Berichterstattung unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung geprägt war von Unverständnis und Empörung auf der Seite der Betroffenen. Da war u.a. von „Rechtsbeugung“ und „Skandalurteil“ die Rede.
Ich erhebe nicht den Anspruch, hier eine umfassende und abschließende juristische Abhandlung des Urteils und der Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens zu liefern. Die Materie ist zu komplex und ein solcher Beitrag passt eher in einen anderen Rahmen. Zudem wäre hierfür ein kühler Kopf, Objektivität und eine gewisse Distanz zur Thematik zumindest vorteilhaft, um die gegenseitigen Argumente ergebnisoffen abzuwägen und schließlich zu einem „guten“ Ergebnis zu gelangen.
Von diesem Zustand bin ich aber derzeit weit entfernt und das liegt nicht an dem Ergebnis des Urteils. Es ist die Art und Weise der Begründung, die mir – vornehm formuliert – die Zornesröte ins Gesicht treibt. Zweifellos passender wären umgangssprachlichere Begriffe, die ich aber anschließend evtl. bedauern würde und die ich daher lieber vermeide.
Als Anwalt lernt man im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit sehr schnell, mit solchen Begriffen wie Rechtsbeugung und richterlicher Willkür vorsichtig zu sein. Ich selbst habe sie bislang bei der Kommentierung von Entscheidungen nie verwendet, auch wenn mir auf Anhieb 2-3 Gerichtsentscheidungen einfallen, die mindestens scharf an der Grenze rangierten. Jeder Anwalt weiß aus Erfahrung, dass der Ausgang eines Rechtsstreits nur sehr selten vorherzusehen ist und die Grenze zur Rechtsbeugung aus sehr guten Gründen äußerst weit zu ziehen ist. Fast alles ist vertret- und begründbar; zwei Juristen, drei Meinungen; auf hoher See und vor Gericht usw., … – alles schon gehört und x-fach erlebt. Letztlich eine Konsequenz der richterlichen Unabhängigkeit, für die unfassbar mehr Argumente sprechen als gegen sie.
Um es vorweg zu nehmen: Ich gehe auch bzgl. des Urteils des FG Köln nicht so weit, von Rechtsbeugung zu sprechen. Ich kann sogar sagen, dass mich das Ergebnis nicht sonderlich überrascht hat. Ich halte es sogar für vertretbar, auch wenn es nicht meinem Rechtsempfinden entspricht. Schon vor einigen Jahren habe ich im Rahmen eines Beitrags für eine Pokernews-Seite meine Meinung geäußert, dass die so häufig aufgestellte Gleichung „Glücksspiel = Steuerfreiheit“ nicht zwangsläufig aufgeht und dass der Ansatzpunkt gegen die Steuerbarkeit in der Auslegung und der Systematik der Steuergesetze liegen muss. Dies liegt an der von der Rechtsprechung verwendeten Definition des Glücksspiels, die meines Erachtens nicht nur unbrauchbar für die Einordnung eines Spiels wie Poker, sondern auch so unbestimmt ist, dass man wirklich alle möglichen Ergebnisse mit ihr begründen kann.
Selbstverständlich habe ich nicht erwartet, dass das FG Köln diese Definition in Frage stellt und neu erfindet.
Aber das FG Köln beschreitet einen Weg, der letztlich in Ausführungen gipfelt, die die Rechtsprechung der vergangenen Jahre auf den Kopf stellt. Die Argumentation des FG Köln ist so offensichtlich ergebnisorientiert, dass man es kaum glauben mag und sich verwundert die Augen reibt. Wäre es nicht eine weitreichende Entscheidung und würde es für den Betroffenen nicht um eine ganze Menge Geld gehen, könnte man fast darüber lachen:
So wird ein Strafurteil des Landgerichts Karlsruhe aus dem Jahre 2009 zitiert. Das Landgericht kam hier in der Tat zu dem Ergebnis, Poker in der Form des Texas Hold´em sei ein Geschicklichkeitsspiel.
Seitdem wird jenes Urteil von mir und sicher von vielen anderen Anwälten (und anscheinend neuerdings auch von der Finanzverwaltung…) im Rahmen von Straf- Zivil- und Verwaltungsverfahren regelmäßig herangezogen, um gegen die Glücksspieleigenschaft von Poker zu argumentieren. Nicht ein einziges Gericht ist dem bislang gefolgt. Wenn es überhaupt Beachtung findet, wurde und wird jenes Landgerichtsurteil als „Irrweg“ und/oder als „eine Einzelfall gebliebene Fehlentscheidung“ betitelt. Das FG Köln hingegen wertet jene Entscheidung als durchaus gewichtige Auffassung in der Rechtsprechung.
Entsprechendes gilt für den vom FG Köln zitierten Aufsatz von Hufnagel aus dem Jahre 2008.
Ich weiß nicht, wieviel dutzend Male Gerichte von mir auf jenen Aufsatz hingewiesen wurden, wenn es um die Verteidigung in Strafverfahren oder die Vertretung in Zivil- und Verwaltungsverfahren ging.
Aber ich weiß sicher, dass insgesamt lediglich ein einziges Gericht überhaupt auf die Ausführungen Hufnagels einging. Dies war eine derart seltenes und besonderes Ereignis, dass mir der entsprechende Beschluss des Landgerichts Hamburg, in dem es hieß, dass „gegen die Glücksspieleigenschaft von Poker erhebliche Argumente vorgebracht werden“, noch im Wortlaut erinnerlich ist, obgleich auch diese Entscheidung schon ca. vier Jahre zurückliegt und auch dieses Gericht letztlich die Glücksspieleigenschaft bejahte.
„Das Gericht hat die nötige Sachkunde, selbst festzustellen, dass das Spielergebnis beim Pokern überwiegend vom Zufall abhängt“. Ein Zitat aus dem Urteil eines anderen Strafverfahrens. Das Gericht benötigte nur diesen einen Satz, um ein in das Verfahren eingeführtes, mehrere hundert Seiten umfassendes Gutachten vom Tisch zu wischen, welches zum gegenteiligen Ergebnis gelangt war. Ein Verfahren, in dem der Vorsitzende Richter übrigens am ersten Verhandlungstag äußerte, von der Variante „Texas Hold´em“ bis dahin noch gar nichts gehört zu haben.
Was ich sagen will ist:
Dies ist die landläufige Meinung und die Praxis der Gerichte, wenn es um die Einordnung von Poker als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel geht.
Die grundsätzliche Glücksspieleigenschaft von Poker ist trotz aller guten Argumente und kiloschweren, das Gegenteil beweisenden, Gutachten nicht ernsthaft in der Rechtsprechung umstritten. Nahezu jedem Straf-, Verwaltungs- und Zivilrichter Deutschlands (evtl. abgesehen einer Strafkammer in Karlsruhe) ist dieses Tatbestandsmerkmal allenfalls einen Halbsatz in der Urteilsbegründung wert. Vorgebrachte Gegenargumente werden entweder müde belächelt oder gleich völlig ignoriert.
Vor diesem Hintergrund führt das FG Köln dennoch aus (Absatz 61 des Urteils vom 31.10.2012)
„Dabei wird mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass bereits bei einem Durchschnittsspieler das Geschicklichkeitselement nur noch wenig hinter dem Zufallselement zurücktritt bzw. dieses bereits übertrifft.“
Bei allem Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit. Diese Zusammenfassung des Meinungsbildes in der Rechtsprechung und juristischen Literatur ist schlichtweg grober Unfug.
Hier liegt – neben einer Vielzahl weiterer Aspekte, die bereits in der Berichterstattung zum Urteil erwähnt wurden – eine echte Schwäche des Urteils des FG Köln:
Wenn die Abgrenzung vom Glücks- zum Geschicklichkeitsspiel tatsächlich ein entscheidendes Kriterium sein soll – und das Urteil des FG Köln muss man wohl so verstehen, kann ein ergebnisoffener Blick in die einschlägige Rechtsprechung nur zu einem Ergebnis führen: Es ist ein „Glücksspiel“.
Dies muss dann aber auch allgemein gelten – auch in steuerlicher Hinsicht. Denn ein Spiel ist entweder theoretisch für alle „beherrschbar“ bzw. mit Gewinnaussicht spielbar oder eben für niemanden, weil der Glücksfaktor das Geschick überlagert.
Das Abstellen auf den Durchschnittsspieler ist zwar nicht zwingend und meines Erachtens ein falscher Ansatzpunkt, aber es ist durchaus legitim, wenn es um die grundsätzliche Einordnung eines Spiels geht. Allerdings muss sich „der Staat“ dann an diese Einordnung auf allen Gebieten und mit allen – auch unerwünschten Konsequenzen – gebunden fühlen. Andernfalls betritt er ein Gebiet, das einige als Willkür und Rosinenpicken und eben andere als Rechtsbeugung bezeichnen.
Wie man es auch nennt: Ich halte das Urteil des FG Köln aus diesem Grund für grob fehlerhaft und auch bei der weiteren Lektüre des Urteils (z.B. bzgl. der Voraussetzung der Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr) wirkt die Argumentation des Gerichts allein ergebnisorientiert.
Das FG Köln irrt auch, wenn es mehrfach betont, es handele sich lediglich um eine „Einzelfallentscheidung“. Auch dies ist meines Erachtens einigermaßen haarsträubender Unsinn und es liegt die Vermutung nahe, dass sich das Gericht seiner Verantwortung entweder nicht bewusst war (dies ist allerdings eher unwahrscheinlich) oder dass es die Tragweite seiner Entscheidung herunterspielen wollte, weil es erkannt hat, auf welch dünnem Eis es sich argumentativ bewegt. Denn selbstverständlich hat das Urteil weitreichende Folgen für die zukünftige Behandlung einer Vielzahl von Pokersachverhalten durch die Steuerbehörden und Finanzgerichte. Auch wenn in jedem konkreten Einzelfall eine Abgrenzung von Hobby- und Berufsspieler erfolgen muss, wird die wesentliche Weiche in dem hier anhängigen Verfahren gestellt – nämlich die Frage: „Ist es grundsätzlich zulässig oder grundsätzlich unzulässig, Pokergewinne der Steuer zu unterwerfen?“. Dies kann das FG nicht ernsthaft abstreiten und letztlich tut es dies auch nicht, da es die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit ja zugelassen hat.
Ob das Revisionsgericht zu einem anderen Ergebnis kommen wird als das FG Köln, wage ich nicht vorherzusagen. Wie gesagt: Beide Standpunkte sind begründbar.
Ich hoffe jedoch, dass der BFH zumindest über den Tellerrand einer „Einzelfallentscheidung“ hinausblickt, die Gesamtzusammenhänge begreift, alle Argumente und Konsequenzen berücksichtigt und ergebnisoffen abwägt. Obergerichte wie der BFH können das und – so viel Restvertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit sei gestattet – sie tun dies auch regelmäßig.
Ich wünsche Eddy Scharf für den weiteren Verlauf des Verfahrens viel Erfolg.
Axel Mittig
Rechtsanwalt
Grindelallee 20
20146 Hamburg
mittig@pokeranwalt.de
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