Blasse Gesichter, betretene Mienen und traurige Augen. An manchen Wiener Spieltischen herrscht Endzeitstimmung. Kommt die befürchtete Razzia tatsächlich und wenn sie kommt, ist es dann gleich das Ende für immer? Ein Bericht in der Kronen Zeitung sorgt für Unruhe und diese Sorge scheint auch durchaus begründet. Das größte österreichische Boulevardblatt ist über die Jahrzehnte gut vernetzt, und wenn da ein Informant der Finanzpolizei eine baldige Beschlagnahme der Pokertische ankündigt, muss man sich damit ernsthaft auseinandersetzen. Aber – so viel sei jetzt schon verraten – kein Grund zur Verzweiflung. Auch ich bin schon Jahrzehnte unterwegs und habe so meine Plaudertaschen mit Behördennähe und meine Informationen für den Wiener Raum sind da deutlich optimistischer. – In der heutigen Kolumne werde ich versuchen neue Fragen zu der Lage der österreichischen Pokernation zu beantworten.
Erster Teil:
Kann es denn überhaupt passieren, dass eine Razzia vorab verraten wird? – Selbstverständlich werden Razzien vorab verraten. Besonders bei minderer Deliktschwere wird immer jemand plaudern. Würde das keinesfalls bei ernsthaften Fahndungen und Erhebungen behaupten, aber solange es um Banales wie mögliches Glücksspiel, Rotlicht oder ähnliches geht, findet sich immer irgendwer, der irgendwem irgendetwas erzählt. Selbstverständlich unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit und dieser Siegel wird spätestens nach dem dritten Drink gebrochen. Dazu kommt noch der erfreuliche Hang der Polizei zu medialer Aufmerksamkeit. Kann auch da mit einer kleinen, aber wie ich meine bezeichnenden, Anekdote aus dem realen Leben dienen. Vor ein paar Jährchen saß ich zufällig an der Bar eines Etablissements, um eben mit der mir seit Jahren persönlich bekannten Barfrau zu plaudern. Schlag 22.00 öffnet sich die Tür und ein Kameramann eines österreichischen Privatsenders samt Assistent betritt das chronisch schlecht beleuchtete Lokal und grüßt mich leise mit den Worten: „Bist auch wegen der Razzia da? Das hätte ich mir denken können.“ – Das ist auch Teil des Wiener Charmes. Die Presse ist pünktlicher als die Polizei erlaubt und wenn sich Behörden eitel bei der Arbeit filmen lassen möchten, garantiert das noch keineswegs, dass der Zeitplan eingehalten wird wie geplant. – Zusammenfassend, wenn sich 70 bis 100 Mann zusammenrotten, um in eines der Wiener Großcasinos einzufallen, ist es wahrscheinlich, dass die Razzia vorab verraten wird. Leider nützt das wenig, weil für die Spieler ohnedies nichts zu befürchten ist. Razzien im Wiener Raum gehen in der Regel korrekt und unspektakulär über die Bühne.
Wenn Tische und Equipment tatsächlich beschlagnahmt werden, muss ich mir Sorgen um mein Geld machen? Zusatzfrage: Ist das wirklich das Ende für immer? – Nochmals betont, man muss sich keine Sorgen machen als Spieler. Weder um sein Geld, noch um seine Unbescholtenheit und es ist auch wenig zu erwarten, dass man für alle Zukunft in irgendwelchen Karteien als „Berufsspieler mit Suchtproblematik“ geführt wird. Dass Tische und Equipment beschlagnahmt werden, soll schon öfters vorgekommen sein. Besonders in den westlichen Bundesländern. Wobei da haben die Behörden dazugelernt und eine perfide Strategie entwickelt, fast an der Grenze zur Bösartigkeit. Im schlimmsten Fall, werden tatsächlich Chips, Karten, Dealerbutton, Schneidekarten usw. beschlagnahmt, abtransportiert und gelagert. Dann schreiten die Rechtsanwälte ein und Monate später kann man sich das Zeug wieder abholen. Und jetzt zum bösartigen Teil. Die Tische werden aktuell nicht zwingend abtransportiert. Das wäre nämlich lästig, aber würde den Spielbetrieb etwa bei der exzellenten Logistik der Concord-Gruppe nicht länger als einen Tag aufhalten. Es bleibt zu befürchten für den Fall, dass die Behörden unter einem fadenscheinigen Verweis auf „mangelnde Lagerkapazität“ die Tische vor Ort lassen. Allerdings in voller Absicht werden die Tische dann zu einem betriebsverhindernden Konstrukt zusammengebunden und plombiert. So geschehen etwa in Oberösterreich. Damit will man verhindern, dass neue Tische und Equipment herbeigeschafft und der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Weil wer glaubt, dass eine Razzia automatisch das endgültige Aus bedeutet, versteht rein gar nichts von den österreichischen Verhältnissen. Und ich hoffe stark, dass die geschickten Strategen um Peter Zanoni schon eine Idee haben, wie sie das destruktive Gruppieren der Tische kontern können. Wenn es sein muss, könnten wir ja nebenan im Golden Time spielen. Für mich kein Problem jedenfalls.
Ziehen die Behörden an einem Strang und weiß die rechte Hand, was die Linke so vorhat? – In beiden Fällen, kann man das nur mit einem entschiedenen „Nein“ beantworten und genau deswegen liebe ich dieses Land so sehr. Für meine deutschen Leser – und gerade die fragen mich in letzter Zeit öfters sorgenvoll um Rat, bevor sie ihre Reisen ins Wiener Pokerparadies buchen – vielleicht ein wenig näher erläutert. Österreich hat halb so viele Einwohner wie Nordrhein-Westfalen, ist aber trotzdem in neun Bundesländer aufgeteilt. Das bedeutet, es gibt bei so einer möglichen österreichweiten Aktion ein Wirrwarr an Kompetenzen, Meinungen und Eitelkeiten. Der mögliche Informant der Kronen-Zeitung aus der Finanzpolizei könnte vielleicht die Intention haben die Sache mit diesem Artikel voranzutreiben. Ein bewusstes von Oben abgesegnetes Lancieren, um im besagten Wirrwarr etwas Druck zu machen. Wenn es in der Kronen-Zeitung steht, muss es ja stimmen. Auch ein Teil der österreichischen Realität – Wenn auch diesmal aus der düsteren wenig erfreulichen Ecke.
Resümee und Vorschau auf den zweiten Teil: – Ich halte den Artikel in der Kronen-Zeitung für ein Zeichen der behördlichen Schwäche. Aus dem Selbstverständnis der Finanzpolizei müsste wohl rasch und konsequent eingeschritten werden. Aber es ist so wie bei Schlägereien, wirkliche Gewalt wird nicht lang vorab besprochen. Da geht es, bum, zack, Licht aus (wie ich aus leidvoller Erfahrung berichten kann). In dem Sinne, eine kleine unentgeltliche Werbeeinschaltung für meine deutschen Leser. Alle die sich auf die kommenden Großveranstaltungen im Montesino und CCC-Simmering freuen, dürfen sich weiter freuen. Pokerwien wird nicht untergehen und die Turniere, werden aus meiner Einschätzung, wohl organisiert und reibungslos über die Bühne gehen. – Wer mich ansprechen möchte, ob mit Anregungen, Lob oder Kritik, ist dann herzlich dazu eingeladen.
Teil Zwei der Kolumne erscheint Freitag Mittag auf Hochgepokert.com. Im zweiten Teil werde ich mich journalistisch aus dem Fenster lehnen und meine persönliche Prognose abgeben. Wie das ganze Verfahren ausgehen wird? Wer wann und wo am Ende als Sieger dastehen wird und ob man sich als Pokerspieler auf weitere große Events wird freuen dürfen. – All das versuche ich zu beantworten. Am kommenden Freitag auf Hochgepokert.com.
Götz Schrage