Betrug interessiert scheinbar immer. Außerdem gibt es meiner Arbeit Sinn, über solche Themen zu schreiben. Wenn es – aus welchen Gründen auch immer – zu einem Comeback der Hinterzimmer kommt, sollte man als Pokerspieler zumindest gegen die gröbsten betrügerischen Attacken gewappnet sein. Kürzlich war ich amüsierter Zeuge eines bemerkenswerten Zusammentreffens. Obwohl ich sonst so gar nicht NL Cashgame spiele, musste ich schon aus gesellschaftlicher Verpflichtung dieser privaten Einladung Folge leisten. Dem deutschen Blut folgend erschien ich pünktlich und saß dann mit einem emigrierten Süddeutschen und dem Gastgeber alleine am Tisch. Alles war vorbereitet. Saubere Aschenbecher, der Filz am Tisch frisch gebürstet und das Deck gesuited und harmonisch aufgefächert. Bemühter Smalltalk und diese sonderbare Spannung in der Luft, die ich immer noch vor einem Kartenabend verspüre und die sich erst dann legt, wenn der Abend seinen Namen verdient, und man dann auch tatsächlich die ersten Karten in der Hand hält.
Dann kam dieser, nennen wir ihn: Betrüger im unfreiwilligen Ruhestand – zur geöffneten Wohnungstür hinein. Stadtbekannt wie drei bunte Hunde, mehrfach vorbestraft wegen wilder Schlägereien, die er meist dann hatte, wenn er in den wilden 80er-Jahren doch einmal ertappt wurde. Interessanterweise eskalierte es meist deshalb, weil er so unfassbar beleidigt war, dass man ihm etwas zutraute, was er ja tatsächlich begangen hatte. Das konnte er mit seinem Stolz einfach nicht vereinbaren. Jedenfalls setzte sich der Betrüger außer Dienst einstweilen auf den noch verwaisten Dealerplatz. Den Grund für seinen Besuch kannte ich nicht, aber mir war klar, dass er weder als Gegner noch als Kartengeber vorgesehen war. Vielleicht einfach, ein kurzer und wehmütiger Höflichkeitsbesuch. Scheinbar achtlos nahm er das gesuitete und aufgefächerte Deck mit seinen kurzen, dicken Fingern, mischte nach allen Regeln der Kunst und plauderte über sein Lieblingsthema. Die Schlechtigkeit der Menschheit in allen bejammernswerten Variationen. Während er klagte und jammerte, mischte er weiter das Deck, hob mehrmals ab, fasziniert beobachtet vom pünktlichen Süddeutschen, der das ganze Geschehen aufmerksam durch seine Designer-Brille musterte. Inzwischen trudelten die anderen Gäste ein – und so mysteriös der Besuch begonnen hatte, so abrupt endete er. Zweimal noch virtuos durchgemischt, ein letztes Mal abgehoben und dann das Deck in einem perfekten Boden am Filz aufgefächert. Perfekt gesuited war es selbstverständlich immer noch. Sonst wäre es ja keine Story und eine Pointe gibt es auch als Dessert. Dem pünktlichen Süddeutschen mit der Designerbrille war nicht das Geringste aufgefallen. Völlig unbeeindruckt polierte er seine Breitling-Uhr, ohne auch nur irgendwie darüber zu reflektieren, dass er gerade Zeuge kartensportlicher Höchstleistung sein durfte. Wirklich jede einzelne Karte lag da, wo sie liegen sollte, so als wäre keine von ihnen minutenlang durch die dicken, kurzen Finger des dienstfreigestellten Betrügers gerattert.
„Superkolumne – besonders deine letzte!“. Mir ist ja live vorgetragenes Lob meist peinlich. Da werde ich noch lieber in den Kommentaren beschimpft, aber es ging noch weiter. „Mehr davon. Solche Storys über Betrügereien machen wirklich Sinn und so schreibst du auch endlich mal was Sinnvolles“. Da werde ich ja lieber noch richtig gelobt, bevor etwas so positiv beginnt, um sich dann doch als kleine Gemeinheit zu entlarven. „..endlich mal was Sinnvolles“! Hallo, geht´s noch? – Nun im richtigen Leben gibt es leider keinen richtigen „Dislike-Button“. Da muss man seinen Unmut schon mit aufwändigen mimischen Verrenkungen transportieren. Trotzdem, habe ich immerhin nachgedacht darüber. Nach der vielen Casino-Schelte meiner letzten Texte, muss ich doch einmal was wirklich Lobendes sagen. Beim Cashgame in den Cardrooms ist man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der sicheren Seite, wenn es um die groben betrügerischen Delikte geht. Bandenspiel und Kommunikation zwischen Spielern, lasse ich mal außen vor. Die lassen sich mit Aufmerksamkeit, Instinkt und Erfahrung wenigstens theoretisch entlarven. Den Kartenkünstlern hingegen ist man definitiv ausgeliefert. So gesehen, muss ich meinen kurzzeitigen Fan enttäuschen, auch wenn man weiß, wie es geht, nutzt das im Hinterzimmer gar nichts. Etwa jemand, der die Fähigkeit hat, brauchbare Karten von der Unterseite des Decks zu zupfen, tut dies auch, wenn acht misstrauische, aber unroutinierte Augenpaare ihm dabei angestrengt zusehen. Vielleicht kann ich meine treuen Leser doch ein wenig beruhigen. Wenn man mal die ersten Zehntausend Stunden Live-Poker hinter sich hat, entwickelt man so seine Instinkte für die feinsten motorischen Abweichungen von der Norm. Man weiß zwar nicht, was man gesehen hat, aber man spürt, dass da was war und wenn man schlau ist, und nicht zu sehr im Brand, steht man dann besser auf und geht.
Bei der privaten Einladung zum NL Cashgame bin ich selbstverständlich unter die Räder gekommen. Ein Indiz dafür, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ohne Hilfe bin ich bei dieser Variante des Pokerns immer Opfer Nummer Eins. Meist passiv wie ein Mädchen und wenn ich mal mit einem Overpair in die Offensive gehe, hat der Gegner immer ein Set oder Zwei-Paar und alle – wirklich alle – am Tisch haben es gewusst, außer eben ich. Vielleicht sollte ich auch auf Betrüger umsatteln. Im Süddeutschen Raum dürfte man da nicht besonders misstrauisch sein. Mein neuer Freund mit der Designerbrille hatte sich noch einmal an mich gewandt, als der Betrüger im Ruhestand den Raum verlassen hatte mit folgendem Kommentar: „Ein lustiger Typ. Schade, dass der nicht mitspielt“. „Ja sehr schade.“ Habe ich geantwortet und es auch so gemeint. Vielleicht hätte der mich gewinnen lassen. Selbstverständlich ohne mein Wissen und aus Motiven des nostalgischen Mitleids.
Götz Schrage