Leidenschaft sollte härter pochen. Irgendwie fühlt sich alles ein wenig sonderbar an. Nicht gut sonderbar, wie ich es mag, sondern sonderbar blutleer. Fahrrad fahren kann man angeblich nicht verlernen, da wird sich doch meine Leidenschaft für Poker restaurieren lassen. Hoffe ich zumindest. Poker-EM in Baden und ich bin ganz alleine. Kein schweigsamer Lennart, kein eifriger Tobi und kein plaudernder Jens. Es ist ganz schön einsam für die beste deutsche Pokerseite zu arbeiten. Der böse alte Mann muss alleine jagen gehen. Immerhin treffe ich die hübsche Sabine Hahlweg gleich im Foyer in einem aufregenden schwarzen Kleid. Quasi wie Victoria´s Secret goes Gothik oder so. Im Waschraum am Urinal erleichtert sich Batman. Wahrscheinlich ist Halloween. Das würde auch den blutverschmierten Wurstverkäufer an der Feinkosttheke erklären und ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Irgendwie beruhigend.
Tag Zwei des €3.000.- Main Events der Poker-EM. Meine Mission, den bösen Wolf zum Finaltisch heulen. Wie ich wie von Wien weg fuhr, war er noch gut bei Chips. Jetzt sitzt Dr. Elmar Dirnberger aka „der böse Wolf“ an der Bar und mampft ein kleines Bier. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben und Ben Kang sowieso. Die Weihnachtsgratifikation fällt flach. Soviel ist mal klar. Stau vorm Parkhaus, ein unplanmäßiger Aufenthalt in einem minderseriösen Etablissement und diverse Wirrungen des Schicksals hatten mich aufgehalten. Immerhin, Elmar der böse Wolf ist im Geld und ein zwölfter Platz bleibt eine stolze Leistung. Schade ist es trotzdem und überhaupt ist mir Elmar am Turniertisch deutlich lieber, als an der Bar. Am Tisch kann man die Dosis der Kommunikation leichter steuern, indem man geht, wenn man gehen möchte und herbeieilt, wenn der rituelle Kampfschrei: „MAMPF, MAMPF, MAMPF!“ durchs Casino hallt. Dann hat der Wolf einen Gegner gerissen und schlichtet seine Chips. Jetzt raucht er eine Zigarette und trinkt das erwähnte kleine Bier. Immerhin kein Wodka. Wodka und Wölfe scheinen sich nicht zu vertragen. Zumindest nicht, wenn ich in der Nähe bin.
Bei der EPT-Wien brauchte es damals drei Securitys und eine wartende Funkstreife um die Situation würdevoll zu deeskalieren. An eine Flasche Wodka erinnere ich mich fix. Dabei wollte Elmar den Sicherheitsbeamten nur eine ungefragte Nachschulung geben zum Thema: „Wenn Securitys echte Krawatten tragen kann das gefährlich werden für die Securitys.“ Trotzdem hätte er das besser theoretisch erläutern sollen, anstatt demonstrativ und behände gleich hin zu fassen. Bei der zweiten Bar-Wodka Situation war ich dann handgreiflich deutlich mehr involviert, als ich es vor hatte. Elmar der böse Wolf wollte sein Fachwissen über „töten mit einer Hand“ unbedarften Gästen demonstrieren und die wollten es seinerzeit weder sehen, noch sich als unfreiwillige Probanden an den Kehlkopf fassen lassen. Das ganze lief dann ein wenig aus dem Ruder und endete damit, dass ich Elmar gefühlte zwanzig Minuten sehr fest und gleichzeitig zärtlich mit beiden Händen im Arm hatte und ihm dabei mindestens hundert Mal das Sätzchen: „Elmar mach keinen Blödsinn“ in die Wolfsohren flüsterte. Seitdem sind wir befreundet irgendwie. Zumindest soweit befreundet, wie ein Rechter und ein Linker befreundet sein können.
„Wodka trinke ich heute garantiert keinen. Morgen muss ich fit sein.“ Ein gar nicht böser Wolf ein Wort und so setzte ich mich zu ihm an die Bar im Kursalon Baden und tat das, was ich sonst nie tue, ich hörte bei Kartengeschichten zu, die mit „und dann habe ich KQ suited am Button, und…..“ beginnen. Josip Simunic kam auch vorbei. Ein sympathischer Junge mit rotem Kapuzen-Shirt, von Elmar deshalb konsequent „Rotkäppchen“ genannt. Ich würde meine ganze Bankroll wetten, sollten sich Elmar und Josip wieder mal bei einem Turnier treffen, bräuchte Josip nur sein gelbes Kapuzen-Shirt auspacken und Elmar erzählt ihm alle alten Storys gleich noch einmal. Auch eine Art von Bad Beat irgendwie. „Komm her Rotkäppchen. Setz dich zu uns“ dröhnte der Wolf durch den Spielsaal und bestellte sofort drei doppelte Wodka an der Bar. Heilige Scheiße, geht das jetzt schon wieder los? „Vielen Dank, aber ich trinke jetzt nichts“ erwiderte Josip höflich. Die Wodkas wurden storniert. Entwarnung. Der Josip Simunic hatte einen Fan mehr und ich eine Sorge weniger.
Ein Freund aus alten Tagen sah mich aus der Ferne und kam freudig auf mich zu. „Einen schönen Stud-Tisch haben wir laufen.“ „€30/€60?“ erkundigte ich mich vorsichtig und schon beim Aussprechen der Zahlen, wurde ich ein klein wenig nervös. „Nein“ meinte mein alter Kollege in sichtlich beruhigendem Tonfall: „Schon €50/€100!“. – Nett zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die mich auf Limits dieser Höhe erwarten. „Wos vorbei is, is vorbei Baby Blue“ um es mit Falco zu sagen, aber was wusste Falco schon von Highroller Games am Kartentisch? Vielleicht greife ich wirklich mal wieder an. Angst fressen vielleicht Seele auf, aber nicht automatisch meine Bankroll und wozu gibt es gemütliche Männerwindeln. Bei der nächsten Poker-EM bin ich dann wieder dabei und vorher fülle ich das Hochgepokert-Spesenformular sorgfältig aus und beantrage mal €10.000. Das müsste locker reichen, um einen Abend Spaß zu haben. Und vielleicht nehme ich mir dann Elmar den bösen Wolf mit. Selbstverständlich auf kleine-Bier Diät und wenn das auch nicht hilft, lass ich mir das mit der Einhand Tötungstechnik doch noch erklären.
Götz Schrage