Jahreswechsel machen mich nervös. Änderungen sind generell nicht meines. Ich habe es gerne so, wie ich es immer schon gehabt habe. Das Aktualisieren von Jahreszahlen liegt mir ebenso wenig, wie das Überdenken grundsätzlicher Haltungen und Präferenzen. Ich möchte nicht, dass sich etwas ändert. Ich möchte gerne den Pokerspieler an sich weiterhin als coolen Hund sehen. Mindestens so cool, wie ich immer schon war und sicherlich weiterhin sein werde. Ich möchte uns Zocker als Vertreter hoher sozialer Kompetenz, fundierter Allgemeinbildung und möglichst guter Manieren bestätigt sehen. Außer man zieht uns über den Pokertisch. Dann werden wir zu Tieren und das ist auch gut so. Ich möchte, dass wieder alles so wird, wie es in den frühen 80er Jahren des verflossenen Jahrtausends schon einmal war. Ich will stolz sein dürfen, wenn ich mich als Pokerspieler vorstelle und ich will, dass die ekeligen Hater und Minusmenschen verschwinden. Außerdem möchte ich nicht, dass jemand mein Essen berührt und Mittwoch bleibt Waschtag. Bazinga!
Den „Minus-Menschen“ habe ich gestohlen. Mein Kollege Goran von der Sportabteilung hat diesen Ausdruck verwendet in einer Replik auf einen bösen Kommentar. Konkret schrieb er: „Ich habe auch die Langzeitwetten aufgeführt! Ihr verbitterten Minus-Menschen“. Auf den Punkt formuliert und deswegen habe ich es quasi gleich übernommen, um eine schöne aber traurige Überschrift für diese Kolumne zu schrauben. Aber zurück zum Jahreswechsel und den Gedanken, die einem da so kommen, auch wenn man sich noch so dagegen wehrt. Macht diese meine Kolumne eigentlich noch Sinn? Ist die wichtig, oder kann die weg? Muss ich mich als Herr im gesetzten Alter eigentlich weiterhin von anonymen Dümmlingen beschimpfen lassen, ohne mich entsprechend wehren zu können? Und auch, wenn es mir gelingt diese vereinzelten Hater genau so zu ignorieren, wie sie es verdient haben, wie bewerte ich die durchaus wohlmeinenden User, deren Kommentare von tiefem Pessimismus getragen sind und die meinem journalistischen Bestreben sinnlose Aussichtslosigkeit unterstellen, oder aussichtslose Sinnlosigkeit, wenn das jetzt nicht zu redundant rüberkommt in der Formulierung.
Wobei ich den unzufriedenen Leser an sich doch recht gut verstehen kann. Zwischen den Realitäten des Pokerspielers und der medialen Berichterstattung klafft eine beachtliche emotionale Lücke. Wenn man sich auf den großen Seiten – inklusive Hochgepokert.com – umsieht, wähnt man sich in einer perfekten Welt. Jedes Turnier wird „gestürmt“. Der garantierte Preispool wird „übertroffen“ und das ist gut, weil wenn man schon sein one time hat, dann soll es sich auszahlen. Oder der Preispool wird eben nicht erreicht, dann gibt es Geld extra vom Haus und das ist dann auch gut, weil extra Geld eben immer gut ist. An den Cashgame-Tischen herrscht „Hochbetrieb“. Casinos werden „von Spielern gestürmt“. Alles ist immer ein Erfolg, die Organisation läuft immer hervorragend und wem es auf den Bahamas nicht perfekt gefällt, dem ist ohnedies nicht zu helfen. Daniel Negreanu finden alle Medien als Spieler des Jahrzehntes super, weil wenn sie ihn nicht super fänden, könnte es ja sein, dass sie das sie weder das nächste Jahrzehnt, noch das nächste Jahr wirtschaftlich überleben. Alles was Kunde ist, oder Kunde werden könnte, ist einfach „super“. Nur wenn es dann so grob kracht, dass die letzte Aussicht auf einen letzten Deal verloren geht, wird die grobe Schreibe ausgepackt. Deswegen muss man sich die zweifelsfreien Bösewichte wie Ali.T auch böse hegen und pflegen, um dieser rosa Watte an journalistischer Langweile zu entgehen. Weil Charlie surft nicht und Ali.T schaltet keine Banner. Spätestens wenn irgendein durchgeknallter Oligarch Chris „Jesus“ Ferguson als Testimonial für seine neue solvente Seite präsentiert, werden wir uns wieder langweilige Kartentricks mit durchgeschnittenen Gurken ansehen und die Starschreiber der Pokerseiten werden zum Tänzchen und zum Interview bitten.
Mir geht das alles ziemlich auf den Geist, weil sich die Casinowelt eine kritische Berichterstattung verdient hätte. Zum Wohle der Spieler, aber auch langfristig zum Wohle der Casinos. Nur bezweifle ich, dass die Casinos da meine Einschätzung teilen werden. Generell gilt wohl weiterhin, nur ein kuscheliger Lohnschreiber ist ein guter Schreiber. Dass man mich in der Regel so lässt, wie ich nun mal bin, liegt wohl daran, dass ich diesen durchgeknallten Status habe, um dem mich zu recht keiner beneidet. – Normalerweise kriege ich mich mit meinen Neujahrsgedanken spätestens am dritten Januar wieder ein und fahre im kontrollierten Modus durchs neue Jahr. Diesmal bin ich mir da nicht so sicher. Irgendwie habe ich den Sicherungsstift der Handgranate schon zwischen meinen Fingerspitzen und es fühlt sich gut an. Sonst habe ich keine besonderen Vorsätze für 2014. Ich bin auch irgendwie in der glücklichen Lage nicht wirklich viel arbeiten zu müssen. Und nicht müssen hat mir schon immer Spaß gemacht. Andererseits als aufgeregter Wutaffe vom Dienst, werde ich mich auch nicht zur Verfügung stellen. Meine Pläne als Kolumnist sind somit ziemlich klar umrissen. Ich werde 2014 einfach schreiben, was ich mir wirklich denke. Wenn ich meine romantischen Schübe habe, werde ich an poetischen Miniaturen von den Wiener Pokertischen basteln und wenn es mir mal sauer aufstößt und ich mich über etwas wirklich ärgere, werden es meine Leser als erste erfahren. Zusammenfassend, ich schreibe so lange man mich lässt und wenn nicht, ist es auch egal. In diesem Sinne, nochmals ein verspätetes Prosit Neujahr.
Götz Schrage