Jedes Jahr schreibe ich die gleiche Kolumne und das mit Absicht. Kritiker könnten jetzt einwerfen, ich schriebe quasi sowieso immer die gleiche Kolumne, aber das behandeln wir ein anderes Mal. Das kleine NL ist tot! Nur eine Frage der Zeit und die Cardrooms werden Wunderbäume über die Tische hängen müssen, um den Geruch vom Siechtum und Morbidität erträglicher zu machen. Bis dahin wird alles so weiter nach unten gehen wie bisher. Es gab einen Boom, es wurde schnell mal abkassiert, aber es wurde nichts daraus gemacht. Wie auch? In der Brusttasche meines Hemdes stecken 455.-Euro. Alles von mir selbst in Handarbeit gewonnen. Diese 455.-Euro entsprechen einem vielfachen des Budgets, welches alle deutschsprachigen Casinos und Cardrooms für perspektivisches Denken bereit sind zu investieren. Es wird geschnappt, was geschnappt werden kann. Die Berater nicken ab und die Tische werden gerodet, dass sich jeder Holzbaron im südamerikanischen Regenwald schämen würde. Erst wenn der letzte Pot geraked, der letzte Jackpot-Euro versenkt, der letze Pokerfisch ausgeweidet ist, werdet ihr feststellen, dass man mit Plastikchips nicht mal bei der Tankstelle bezahlen kann.
„Wie kannst du immer nur so negativ schreiben? Auf die Dauer wird dich niemand dafür bezahlen, dass du allen erklärst, wie schlecht alles ist.“ Das hat meine Frau gesagt und sie hat natürlich wie meistens recht. Die Frage bleibt ja nur, wird bald noch irgendwer irgendwen bezahlen? Nirgendwo fließt Geld so akkurat von unten nach oben, wie in der Pokerindustrie. Quasi wie ein Pyramidenspiel ohne Betrüger und die, die oben sind, können tatsächlich etwas. Nur damit alles fließt, wie es fließen muss, braucht es Sieger in den unteren Rängen. Sonst zerreißt es das System. Wer einst am 1er Blind begonnen hat und jetzt in Macau $10.000/20.000.- mit den Superreichen zockt, brauchte eine stabile Leiter auf dem Weg nach oben. Solange die UNESCO Poker nicht zum Kulturerbe erklärt, muss sich diese Leiter selbst finanzieren und da auf besagtem Weg zum Licht viel Geld abfließt, braucht es entweder extraviele Nachrücker, oder alles bricht irgendwann zusammen.
Für das größte Übel der Pokerwelt, kann man allerdings die Casinos und Betreiber nur sehr bedingt in die Verantwortung nehmen. Das No Limit- Desaster hat sich als Pandemie rasend schnell verbreitet. Impfstoff gab es keinen und vom Patienten 1.0 Chris Moneymaker hört man auch nur noch wenig. Die Problematik manifestiert sich im leichten Zugang und dem trügerischen Gefühl für jedermann schnell eine gewinnende Strategie entwickeln zu können. In gewisser Weise stimmt es ja auch. Man trifft in den Casinos zum Teil wirklich limitierte Geister, die kaum in der Lage sind einen komplizierten Text halbwegs sinnerfassend zu lesen und zu verstehen, aber bei NL Holdem haben sie ein A-B-C Spiel verinnerlicht mit dem sie in einer rakefreien Welt tatsächlich bestehen könnten. Das Problem ist nur, sie treten im Dutzend auf und bevölkern ganze Tische und wenn alle warten, dass der andere das Geld schlecht reinstellt, kreisen die Chips und versickern im Schlitz. Darin liegt auch das Problem. NL Holdem ist in gewisser Weise so simpel, dass es Kohorten von Experten gibt und die sind sich wiederum selbst im Weg. Hie und da verirrt sich ein „Fisch“ und diese Fische werden dann geschlachtet, filetiert und ausgenommen. Schneller als es die Mischmaschine erlaubt. Abgesehen davon, sind dem Charme des neuen Casinoprekariats enge Grenzen gesetzt. Der „Fisch“ wird belehrt, ausgelacht und wenn er wirklich viel Glück hat, langweilt er sich nur und zieht kopfschüttelnd von dannen.
Jetzt könnte man auf den ersten Blick meinen, alles bestens aus der Sicht der Casinobertreiber. Fluktuierende Chips die sich kreisförmig zwischen Halbkönnern bewegen, versprechen doch maximalen Profit. Das Problem ist nur, dass dieses aus Sicht des Unternehmers verständliche Streben nach dem maximalen Profit seine Halbwertszeit hat. Der Nerd ist ja da, weil er – mit einigem Recht – an seine Gewinnerstrategie glaubt. Allerdings damit das auch aufgeht, braucht es das entsprechende Poker-Biotop. Es braucht Big Spender und beim Warten auf diese raren Exemplare, dürfen die Casinospesen nicht den „Plus-EV-Traum“ zerstören. Der Fisch an sich, rechnet nicht mit Profit und tief drinnen in seinem Inneren, weiß er auch, dass sich seine Bilanzen niemals grundlegend ändern werden. Wer vor dem Flop, nach dem Flop und überhaupt alles falsch macht, wird eben dafür bezahlen und weiß auch irgendwie warum. Hingegen der NL-Experte wird seinen Frieden niemals finden. Da macht man endlich einmal im Leben alles richtig und es wird wieder nicht belohnt. Aufkeimende Selbstzweifel am eigenen Können – die absurderweise meist unberechtigt sind – werden beruhigt mit langweiligen Bilanzen des Unglücks. So aus der Abteilung: „Hätte ich in den letzten fünf Schlüsselpots meine Asse nicht gegen KQ verloren, wäre ich dieses Jahre ja weiter vorne, aber so…..“. Ist natürlich naive Illusion. – Zusammenfassend möchte ich den Teil Eins meiner Gedanken hier abschließen. Fest steht für mich, es kann nicht so weitergehen, weil es nicht so weitergehen kann. Aber es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels und es wird sicher neues Pokerleben entstehen. Was man tun könnte und sollte und wieso ich mir trotz allem ein Stück Optimismus in mir spüre, behandle ich dann im zweiten Teil dieser Kolumne.
Götz Schrage