Also werden wir konstruktiv. So schwer es mir auch fällt aus meinem tristen Stollen der Hoffnungslosigkeit zu krabbeln. Versprochen ist nun mal versprochen. Letzte Woche habe ich ein wirklich tristes Sittenbild der Pokergegenwart gezeichnet und leichtsinnigerweise einen zweiten Teil mit konstruktiven Ansätzen versprochen. So was tippt sich schnell, aber irgendwann ist dann die Stunde der Wahrheit gekommen und somit habe ich ein Problem. Wenn Sie meine Kolumne versäumt haben, können Sie den Text hier mit einem Klick nachlesen. Meine Empfehlung allerdings wäre dahingehende Enthaltsamkeit. Zu viel an depressiven Gedanken verderben nur den bereits spürbaren Frühlingsbeginn. Apropos Gedanken. Ich hätte deren durchaus einige zu bieten mit positivem Ansatz. Zum Teil ergänzen sie sich, zum Teil widersprechen sie sich ein wenig. Allerdings im Großen und Ganzen werde ich Entwarnung geben. Es wird weiter gehen, weil es immer irgendwie weitergeht mit den Dingen, die uns Spaß machen. Nur die Glockenhose ist für immer weg und nicht einmal da muss man alle Hoffnung fahren lassen. Die Altersweisheit beschert mir ja keinesfalls einen Zuwachs an Intelligenz oder brauchbarem Wissen. Aber ich weiß zumindest aus eigener Erfahrung, dass sich Dinge oft auf völlig unerwartete Weise regeln. Dass sich Trends und Dinge entwickeln, die man vorher nie vermisst hat, aber ohne die man nicht mehr sein möchte, wenn sie einmal da sind. – Vier positive Gedanken und als Zusatzservice eine prozentuale Eintrittswahrscheinlichkeit.
Pokerspieler entwickeln soziale Intelligenz 17%. – Evolutionär sind wir ja auf überleben getrimmt. Trotzdem bleibe ich für die kleinen Limits bei den düsteren 17%. Es liegt halt wirklich viel im Argen. Der Druck vom Rake ist immer spürbar. Bewusst, oder zumindest unbewusst. Der halbwegs gute A-B-C Spieler macht alles richtig und trotzdem geht es sich nicht aus. Der Grund für das Scheitern wird am schlechten Spiel der letzten Big Spender festgemacht. So wird belehrt, beschimpft und verhöhnt. „Winning Low Limit Player“ ist nämlich kein Beruf, sondern eine Unmöglichkeit. Gerade deshalb fühlt man sich offenbar unter Druck, die Geheimnisse der denkunmöglichen Professionalität mit verwirrten Spaßspielern zu teilen. Da werden ICM-Rechner ausgepackt, Positionen analysiert und somit wird dem solventen Novizen vor Augen geführt, was ihm noch alles fehlt. Die schlauen Novizen ergreifen die Flucht. – Meine 17% Optimismus sind davon getragen, dass sich die A-B-C Spielern den alten Werten der Pokertische besinnen. Es muss für Unterhaltung gesorgt sein. Gewinnen können eben nur wenige, aber alle sollten einen netten und lustigen Abend haben. Frei von übellauniger Pokerpädagogik.
Pokerspieler entdecken den Mut und wehren sich 9%. – Ja Sie haben richtig gelesen, ich halte das für grundsätzlich möglich. Schließlich nehmen wir eine Dienstleistung in Anspruch. Wir können, aber wir müssen nicht Poker spielen. „Mir ist das rake egal, weil ich gewinne ja sowieso nie mit den Assen“ mag man ja noch als Satire gelten lassen, aber grundsätzlich muss man den Lauf des Geldes begreifen, sonst ist man in der falschen Sportart. Geld gewinnen kann man eben nur, wenn Geld verloren wird. Der Mann, der jede Hand spielt, gewinnt eben auch die meisten Pots und zahlt somit das meiste Rake. Soweit die schlechte Nachricht, weil dann eben nichts mehr da ist, wenn die Asse doch mal halten. Soll ja vorkommen. Seit zwanzig Jahren beobachte ich Rake-Erhöhungen und schmunzle über die kurzfristige Erregung an den Tischen. Am Ende ist es so, wie es immer ist. Man bestraft den, der am wenigsten dafür kann. Den Dealer. Das Trinkgeld dünnt sich immer weiter aus und dementsprechend wird bereits mittelfristig die Qualität des Personals entsprechend nachlassen.
Casinobertreiber lernen dazu 4.5% – Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Aktuell geht es nur darum die Kiste voll zu kriegen. Alles was in den Schlitz gestopft wird ist gut und jeder, der was anderes rät ist böse. Die Kalkulation wird am maximal Möglichen und nicht am maximal Schlauen festgemacht. Die Zukunft ist morgen in der früh, wenn der Floorman die Chips aus Box aus der holt. Alles wird dem banalen Grundsatz der Geschwindigkeit untergeordnet. Wenn ich pro Partie kassiere, dann müssen mehr Partien mehr Profit sein und dahingehend orientieren sich Regelwerk und Floorman-Entscheidungen. In der perfekten Welt der Casinobosse nimmt sich jeder Spieler einfach zwei Karten aus dem Muck und stopft gleich mal einen Euro in den nächstmöglichen Schlitz. Dass man Belastungen am Tisch an der zwingenden Option Sieger zu produzieren festmachen müsste, hat sich noch nicht nach oben durchgesprochen. Nur Sieger bringen ihre Cousins mit an den Spieltisch. Verlierer – und an den kleinen Tischen sind alle Verlierer – zocken still und heimlich. Allerdings haben es die Bosse nicht leicht und auch daran sind sie natürlich selbst schuld. Mit Widersprechen lässt sich keine Karriere machen. In jedem Team der Berater und Führungskräfte gibt es genug an Wissen und Kompetenz und solange sie ihr Wissen für sich behalten, steht der Karriere nichts im Wege. Wer ausschert und das tut, wofür er auch bezahlt wird, nämlich für die Zukunft des Unternehmens zu kämpfen, kämpft dann am Arbeitsamt um seinen Platz in der Schlange. Doch irgendwo und irgendwann – deswegen diese 4.5% Optimismus – wird es einen Galileo geben. „Wenn wir deutlich mehr und länger Geld verdienen wollen, müssen wir jetzt deutlich weniger nehmen“ mag zwar ein wirklich kühner Satz sein. Da verblasst das mit der Erde und der Sonne deutlich an Brisanz. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf und sonst sieht man sich eben an der Schlange im Arbeitsamt.
Es weiß zwar heute noch keiner auf welche Art und Weise es sich zum Besseren wendet, aber es wird trotzdem geschehen 69.5%. Und ich weiß es schon gar nicht. Lange hatte ich die These, dass Limit zurückkehren wird, weil es einfach die bessere Variante für die schwächeren Spieler ist. Die schlechten Calls sind einfach deutlich milder zu bewerten, weil man etwa an einem Turn in einem Pot mit 35 Big Blinds sehr schwer wirklich schlecht seine Big Bet bezahlen kann. Aber ich fürchte, mit der These liege ich daneben, obwohl ich in der Theorie selbstverständlich recht habe. Es wird sich irgendwie auf wundersame Weise anders entwickeln. Vielleicht rückt das Pokern an sich ein wenig aus dem unternehmerischen Fokus. Vielleicht werden die Gewinne anders gemacht. Vielleicht wird die Gastronomie wichtiger, oder gar das Entertainment profitabel vorangetrieben. Vielleicht dealen in Zukunft Stripperinnen und man stopft ihnen freiwillige Euros ins Höschen, wenn man einen Pot gewinnt. Wie erwähnt, was im Guten passieren wird, ich weiß es nicht. Aber ich glaube fest daran. Zumindest zu 69.5% bin ich mir ganz sicher.
Götz Schrage