Doyle Brunson – die Bibel und die alte Zeit – der unaufrichtige Mr.X
„Es gibt viele Menschen, die sich einbilden, was sie erfahren, verstünden sie auch.“ Johann Wolfgang von Goethe
Früher war das alles nicht so einfach. Das Leben als Pokerspieler in den späten Achtzigern des letzten Jahrhunderts lief viel weniger geschmeidig als sich das die jungen Menschen heute vielleicht so vorstellen können. Keine Handys, keine I-Pods, kein Sushi und kein Internet. Ach ja, und gute Pokerliteratur war schwerer zu beschaffen als Drogen und Waffen zusammen. Obwohl, da hat sich vielleicht noch am wenigsten geändert, wenn ich so nachdenke.
Heutzutage gibt es Pokertracker, Pokeroffice, ITM-Rechner und Odds-Calculator und Spieler scheinen sich damit sogar auszukennen. Das hat mal meinen Respekt auf jeden Fall. Jeder, der online mehr als zwei Tische gleichzeitig spielt, ist für mich ein kleiner Held. Das Raumschiff Enterprise zu steuern wird da zur Entspannungsreise. Beame mich ins nächste Limit bitte.
Die gute alte Zeit war ja mehr kompliziert als gut. Wir hatten ja praktisch nichts, wenn man von großartiger Musik auf Vinyl, hübschen Mädchen am Sozius und wunderschönen Geldscheinen absieht. Aber ich war selbstverständlich etwas Besonderes. Ich hatte mehr als die Anderen. Ich war stolzer Besitzer von „SUPER SYSTEM by Doyle „Texas Dolly“ Brunson“ in der silbernen Edition. Schwer wie ein Ziegelstein, nur dicker und für exakt $50 direkt aus Las Vegas importiert. Damit hielt ich das gesammelte Pokerwissen der Neuzeit in Ehren und Händen und gegen freundliche Worte und das ein oder andere Freigetränk war ich dann auch bereit, das ein oder andere Kapitel im Copyshop um die Ecke zu kopieren. Leider war der Falz so stur und mächtig in meiner gebundenen Ausgabe, dass der Kopierer die letzten Worte der linken, und das erste Wort der rechten Buchseite meist unterschlug. Quasi „Lost in the Fotokopierer“. Viele vielleicht durchaus hoffnungsvolle Karrieren sind wohl an dieser leseunfreundlichen, technischen Unzulänglichkeit nachhaltig zerbrochen.
Aber „SUPER SYSTEM“ war mehr für uns als einfach nur ein gutes Fachbuch. Alleine, dass es im fernen Amerika jemanden gab, der unsere Zunft so eloquent vertrat, gab uns Pokerspielern ein positives Selbstverständnis. Jeder Satz wurde zum Sinnspruch erhöht. Jedes Kapitel zur philosophischen Abhandlung erklärt. Wenn gar nichts mehr weiter half, konnte man sich mit einem Brunson-Zitat aus der Krise holen. Zugegeben, all die Tipps und Tricks für den Razz/Ace-to-Five/Deuce-to-Seven Spieler ließen sich nicht wirklich real umsetzen und auch die hundert Seiten über NL Hold´em brachten keinen Zugewinn der pekuniären Art. No Limit wurde einfach nicht gespielt und war komplett unbekannt. Wenn man so wie ich das Glück hatte bei den Jungs von der amerikanischen Botschaft und der UNO mitspielen zu dürfen, gab es lediglich Limit Hold´em und „check-raise“ war dermaßen unfein, dass man fürchten musste beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen zu werden.
Legendär waren die „Poker Statistics“ im Anhang. In einer Zeit, als die Helden der elektromechanischen Datenverarbeitung noch stolze Ingenieure mit weißen Mänteln und Goldrandbrillen waren, war das große Mathematik. Wie stehe ich denn nun da mit AQ versus J 10 und ist ein paar Zweien wirklich auf Augenhöhe mit AK suited. Heute Allgemeinwissen, damals kostspielig und wenig verlässlich per „trial and error“ zu untersuchen.
Oft gab es auch durchaus hochdotierte Wetten. Sogenannte „propositions“. Ein rotes Paar Achter gegen ein schwarzes Paar Asse, dann wurde der Kurs festgesetzt, die Gewinnwahrscheinlichkeit definiert und 200 Mal gedealt und wer näher dranlag, hatte gewonnen. Es gab da das Gerücht von 8.0 auf die Asse. Wahrscheinlich basierend auf dem Missverständnis, wie oft man statistisch ein Set am Flop mit seinem Paar treffen sollte. Jedenfalls habe ich da einiges gutes Geld gemacht mit der Wette. Beliebt auch die Schlacht AK suited versus 7 2 off. Mit Glück und gutem Vortrag konnte man da einen 5.0-Kurs schnappen. Eine Mezie und quasi unverlierbar.
Einmal wurde ich bitter enttäuscht. Noch dazu von jemandem, der auch noch heute als geschätztes Mitglied bei den Turnieren unterwegs ist. Ich habe von dem Herren eine andere Meinung und das, wie ich glaube, aus gutem Grund. Ursprung unseres Zwistes war eine Wette. Im erwähnten Anhang „Poker Statistics“ gab es eine ganze Seite: „Flops for selected Hold´em Hands“ – „Selection A: You hold AK of Diamonds“. Von „Two Diamonds with an Ace or King“ (58,4:1) oder „Any Flop which includes an Ace or King“ (2,08:1) bis hin zum glorreichen „Qd Jd 10d“ (19.599:1). – Warum auch immer, diese Zahl hatte ich mir gemerkt. Meine persönliche Cafehaus-Bilanz mit AK suited war, nach meinem Gefühl, nicht so großartig, und so war es tröstlich zu wissen, dass ich statistisch spätestens bei der 19.600 Austeilung mit einem gottvollen Royale Flush nach dem Flop rechnen durfte.
Ich saß in einer recht hohen Partie. Potlos und schon ein wenig ungeduldig. Meine Karten und die Flops wollten so gar nicht harmonieren. Als ich wieder einmal ausgerechnet mit AKs den Flop komplett verfehlte, wandte ich mich an die Dealerin mit den Worten: „Junge Frau, warum geben Sie eigentlich immer die 19.599 anderen Flops, die ich so gar nicht brauchen kann“. So was muss man als Kartengeberin schon mal aushalten, auch als besonders hübsche. Gewissermaßen Jammern auf hohem Niveau oder Schimpfen der sanften Art – ganz egal.
„Es gibt aber mehr als 22.000 Flops“ meinte unaufgefordert Mr.X, der scheinbar auch ein Buch besaß, wenn auch offenbar nicht Doyles Bibel. Friedfertig, und im Wunsch einen Kompromiss zu finden, antwortete ich mit: „Aus der Sicht des Dealers mag es mehr als 22.000 Flops geben, aus meiner Sicht gibt es 19.600 und ich will nur den einen sehen.“ Aber der Junge ließ nicht locker und fing an Witze über meine Dummheit zu machen. Und irgendwann waren wir dann in einer Wette und der Betrag war durchaus ernst zu nehmen. Ich wiederholte noch einmal genau was ich zur Dealerin gesagt hatte und bestand auf die Richtigkeit der Aussage und er hielt dagegen.
Der Kellner wurde gerufen und nach Papier und Kugelschreiber gefragt und Mr.X hatte den ersten Versuch. Einfache Formeln zu beherrschen war – vor der Erfindung des Odds-Calculators – Pflicht für jeden ambitionierten Spieler. Er fasste sich also den Zettel und notierte mit einem triumphiernden Grinsen (52x51x50): (3x2x1)= 22.100.
Dann durfte ich ran, erst notierte ich meine Hand AKs und konterte mit (50x49x48): (3x2x1)= 19.600. Seine kühne Antwort war, als ich dann kassieren wollte: „Deine Hand interessiert mich aber nicht, mich interssiert nur, wieviele Flops es insgesamt gibt.“ Immerhin muss man ihm zugestehen, dass er zumindest soviel schlechtes Gewissen hatte, dass er mich nicht mal alibimäßig nach einer Auszahlung zu fragen wagte, sondern einfach so tat, als ob es bei einer mathematischen Wette eine Art Unentschieden geben könne.
Bezahlt hat Mr.X die Wettschuld übrigens bis heute nicht mit der ungelenken Begründung, dass sei aus meiner Sicht und Perspektive durchaus richtig, aber meine Perspektive interessiere ihn nicht wirklich, ihm ginge es darum, wie viele Flops es in Summe gäbe, der Rest sei ihm egal. Mir ist der Typ egal, aus welcher Perspektive auch immer und das wird sich auch nicht mehr ändern. Und sollte er mit Altersweisheit geschlagen diese Zeile hier lesen und einen reumütigen Zahlungsversuch starten, werde ich diesen abschmettern. Da bin ich lieber noch zwanzig weitere Jahre böse und unversöhnlich und dann kann man ja immer noch sentimental werden.
Autor: Götz Schrage
Waren das noch Zeiten in den Achtzigern. Da konnte man als bekennender Kommunist, nicht zu verwechseln mit Kolumnist, noch einfach so in die amerikanische Botschaft spazieren und mit dem Personal Poker spielen. Und hatten die Jungs mal keine Lust ist man einfach weiter zur UNO (vermutlich ist das Vienna International Centre gemeint), den Freimaurern, der Starfleet Academy oder zum Verein „Rettet den Märchenwald“.
Immer traf man dabei auf einen geheimnisvollen Mr. X, den man am besten durch einen Namen seiner Wahl ersetzt: Rumpelstilzchen, der böse Wolf, Gandalf oder Franz Oberhauser.
Wie Sickmund Freud das immer wiederkehrende Thema mit den nicht bezahlten Spielschulden bewertet hätte, ist nicht überliefert.
Ganz Wien hat bei Götz S. anschreiben lassen, klingt jedoch mehr als glaubwürdig, zumindest aus der Sicht eines Dreijährigen betrachtet.
Parallelgesellschaften mögen ja für Sozialromantiker und andere Gutmenschen einen gewissen Reiz haben. Aber Götz S. Paralleluniversum sprengt jegliches Raum-Zeit-Kontinuum.
So, ich werfe jetzt mal mein Rentier Rudolf an und trabe zum Bergwerk hinter der Garage, um die sieben Zwerge auszupeitschen. Die Goldfördermenge ist den letzten Tagen um 0,001 Prozent zurück gegangen und meine 99 Jungfrauen brauchen um diese Jahreszeit schließlich auch etwas zum Anziehen.
Aufmerksame Leser wissen natürlich, dass ich gelogen habe. Sind natürlich 99 Ex-Jungfrauen. Ein German Hawke weiß eben, was er seinen weiblichen Fans schuldig ist.