„I don´t care what anybody says about me as long as it isn’t true“. – Truman Capote
Kürzlich traf ich einen Kumpanen aus alten seriösen Zeiten. Und auch, wenn sich der geschätzte Hochgepokert-Leser jetzt denken mag, „seriöse Zeiten und Schrage – wie passt das zusammen?“, beharre ich auf meiner Einleitung. Tatsächlich konnte ich seinerzeit in der brutalen Werbewelt einiges Geld verdienen und wer dort überlebt, den kann im turbulenten Spielerleben nichts mehr so schnell erschüttern. Wie auch immer, mein ehemaliger Kollege hat so zirka mein Alter, etwa meine Statur. Die Haare werden deutlich dünner, die Haut schlaffer und auch der Gang hat nicht mehr die Dynamik früherer Tage. Was sich nicht geändert hat, weder haartechnisch, noch von Statur, Dynamik und Alter, sind die jungen Damen an seiner Seite. Vielleicht lassen sich südosteuropäische Tendenzen beobachten, aber sonst ist alles wie immer. Hohe Schuhe, lange Haare, lange Beine und immer dieser leicht beleidigte schmollende Ausdruck, den man oft bei jungen Damen beobachten kann, die glauben ihre Zeit mit mehr als doppelt so alten Männern verbringen zu müssen. „Ich hasse sie alle“, zischelte er mir leise zu. „Sie gehen mir so maßlos auf die Nerven, mindestens dreimal am Tag will ich schreiend das Haus verlassen. Aber es ist doch mein Haus! Außerdem, wenn ich sie alleine lasse, machen sie mir vielleicht meine Möbel kaputt.“ „Warum zur Hölle tust du dir das an?“ war meine logische Gegenfrage und ein „Nimm dir doch was gemütliches in deinem Alter“ setzte ich auch noch hinterher. – Ein ungläubiger Blick, ein unwilliges Stirnrunzeln, gefolgt von einem angedeuteten Kopfschütteln . „ Völlig ausgeschlossen. Ich habe doch schließlich einen Ruf zu verlieren!“.
Vielleicht sind daran auch Dieter Bohlen und die Castingshows schuld. Viele Menschen machen Sachen, von denen sie annehmen, dass sie damit noch viel mehr Menschen gefallen könnten. Im Privatfernsehen verliert man dabei so gut wie immer seine Würde, im Privatleben riskiert man seine Möbel und wertvolle Lebenszeit, im Casino riskiert man seine Bankroll – und damit wäre ich elegant beim eigentlichen Thema. Die Zeiten sind hart, die Gegner sind stark und schlechtes Geld findet man am River nur noch in zu vernachlässigenden Spurenelementen. Nicht zu vergessen die ungeheuerliche Rake-Belastung. Guter Durchschnitt reicht schon lange nicht mehr. Ein wenig besser als das Mittelmaß reicht inzwischen maximal zum kleinen Minus in der Bilanz. Ich kenne genug Spieler, die würden bei gleicher Besetzung am Küchentisch mit fettem Plus aufstehen, zerbrechen allerdings gnadenlos an Rake und Trinkgeld. Besonders die lauten Heroen, die den Tisch tatsächlich dominieren, denen jede Hand irgendwie gefällt, weil sie den statistischen Nachteil der Startkarten durch aggressives Postflop-Spiel regelmäßig mehr als wettmachen. Nach einer zehnstündigen Sitzung am 2er Blind NLH haben sie dann gefühlt achtzig Pots gewonnen und sind trotzdem €56 im Brand. – Wo das Geld geblieben ist, wüsste ich zwar, habe aber den Casinos versprochen, nichts zu verraten. Dem selbsternannten Tischterroristen würde ich anraten, entweder höher zu spielen, was bedeuten könnte, dass ihm sein angstfreier Ansatz verloren geht, oder eben entsprechend den Casinospesen das Spiel auf den kleinen Tischen zu modifizieren. Um es auf casinochinesisch zu schreiben: „Eitelkeit kostet viele teuer“. Und lieber ein wenig Dominanz aufgeben und gegen langweilige Effizienz ersetzen. Und doppelt lieber unauffällig und still auf einem höheren Limit gewinnen, auch wenn es dort zum gefürchteten Django nicht reichen mag.
Aber die Fallen des falschen Stolzes sind komplex und lassen sich keinesfalls immer mit „dann musst du höher spielen“ beantworten. Manchmal stimmt eben auch das genaue Gegenteil und dann liegt das Wohl im freiwilligen Downgrade. Und wieder muss ein langjähriger guter Bekannter als Erklärbär herhalten. Halbwegs wohlhabend geboren, als junger Erwachsener so manches übermotorisiertes PS-Geschoß um nicht rasch genug ausweichende Bäume gewickelt, dann den Segelschein gemacht (zweimal gekentert), Squash gespielt und dabei diverse ramponierte Gegner und zerborstene Schläger hinterlassen, eine Harley Davidson gekauft und selbst repariert (was ein Fehler war) und schließlich in den 90ern das Pokern entdeckt. Mit all seinen anderen Hobbies hat er sich und sein Umfeld in höchste Gefahr gebracht. Beim Pokern bilanziert er ebenfalls Jahr für Jahr ein fettes, aber für seine finanziellen Verhältnisse erträgliches Minus. Immerhin war er nicht mehr in Lebensgefahr (bis auf die Story mit den zwei Psychopathen im Hinterzimmer) – nur das wäre eine andere Kolumne. – Jedenfalls, nach zwanzig Jahren Poker, um gefahrlos anzugeben und seine Gegner damit zu demütigen, dass man sich das Verlieren leisten kann, merke ich doch eine gewisse Veränderung zum Schlechten. Grund dafür ist der Hang zum höchsten Tisch. Mögen da auch noch die Besten der Besten sitzen, oder sonst alle Alarmzeichen auf rot stehen. Nach dem Motto, wer nicht am höchsten Tisch spielt, kann sich gleich beim Schalter für die Offenbarungseide anstellen, zieht er seine „Tableselection“ durch. Schließlich hat er ja einen Ruf zu verlieren. Kürzlich ertappte ich ihn dabei, wie er sich am Tisch bei einer Diskussion um günstige Handytarife beteiligte. – Sehr besorgniserregend. Wenn er sich jetzt, nach zwanzig Jahren noch erkundigt, was der frisch gepresste Orangensaft kostet, gehe ich mit ihm zu den Anonymen Spielern. Eine Frage der Freundschaft.
Mein persönliches Waterloo der Eitelkeit erlebe ich regelmäßig an den „Must Move“-Tischen. Ich erkläre das schnell für die jungen Online-Grinder: Wenn die Warteliste für den eigentlichen Tisch bedrohliche Ausmaße annimmt, sperrt man einfach einen Zweiten auf – dasselbe Limit, dieselbe Pokervariante selbstverständlich. Immer, wenn am Haupttisch ein Platz frei wird, muss der jeweils Erste der ursprünglichen Warteliste wechseln (oder nach Hause gehen – oder wo anders hingehen, nur am „Must Move“-Tisch bekommt er keine Karten mehr). Wenn ich jetzt in einem der zahlreichen Wiener Cardrooms auf besagter Warteliste stehe, wird besonders schnell für temporären Ersatz gesorgt. Mag es daran liegen, dass ich so manchem Haus persönlich verbunden bin, oder verwechselt man mich mit jemand wirklich Wichtigem. Wie auch immer, kaum habe ich entspannt an der Bar Platz genommen, bereit ohne Murren eine Weile zu warten, um stattdessen mit den Kellnerinnen zu flirten, kommt ein dienstbeflissener junger Floorman und geleitet mich zum Schafott. Zwei Hausspieler, ein ehemaliger Dealer ohne Job und sonstiges Leben, aber bestrahlt von Fortuna mit unerhörter Kaufkraft und ein junger Pro, der zehnmal mehr Hendon Mob Einträge hat, als mein Strafregister auch in schlimmsten Zeiten vorzuweisen hatte. Natürlich bin ich da shorthanded alles andere als Favorit, und vier kleine Bier helfen auch nicht wirklich weiter. Guter Single-Malt Whisky würde definitiv helfen. Man kann in Casinos ja bekanntlich alles kaufen – Waffen, Drogen, dubiose DVDs und serbische Führerscheine – aber niemals, wirklich niemals einen ordentlichen Whisky. – Es wäre so einfach, ich könnte mich ja höflich bedanken und stattdessen auf den echten Tisch warten. Allerdings müsste ich dann zugeben, dass mir die besagte Partie rein spieltechnisch zu stark wäre und ich habe ja schließlich ebenfalls einen Ruf zu verlieren. Ganz im Gegensatz zum Geld, welches ich vom Budget her besser nicht verlieren sollte, aber dann aus Eitelkeit eben doch riskiere. Rein theoretisch könnte man ja den Anfangsschaden, am eigentlichen Tisch wieder wettmachen. Aber eben meist doch nur theoretisch, wie ich in letzter Zeit schmerzhaft erfahren musste.
Abschließend noch eine kostenneutrale Eitelkeit meines Freundes S.. Ich bitte den treuen Leser zu entschuldigen, wenn ich von dieser liebenswerten Marotte bereits berichtet habe. Schließlich bin ich stolz darauf, seit fünf Jahren zum erlesenen Kreis der Pokerblatt-Kolumnisten zu gehören und ich hoffe, da wäre auch eine kleine Doublette verzeihlich. Jedenfalls, Freund S. hat am Spieltisch regelmäßig heimlich Jetons in der Tasche. Wir alle beobachten, dass sonst zumeist in der einen Richtung. Jemand gewinnt einen großen Pot und schon verlassen ein paar Chips illegal den Tisch in Richtung temporäre Sparkasse. Quasi, als könne man so seine Gewinne sichern, obwohl man schließlich später doch bereit ist, eben diese Reserve wieder – im Wortsinn – ins Spiel zu bringen. Bei S. läuft es umgekehrt. Der wechselt zum Beispiel €1200 in 10er Chips. Kauft sich mit €400 ein, gewinnt zwei Stunden keinen Pot und trotzdem wächst der Turm der Jetöner regelmäßig und in schwindelnde Höhen. In jedem scheinbar unbeobachteten Moment marschieren Chips aus dem Exil der Jackentasche direkt ins Kampfgebiet. Sicher nicht anstößig oder verboten. Einfach nur ein wenig schrullig und sonderbar. S. will einfach immer und ständig wie der Natural Born Winner aussehen. – Schließlich hat er einen Ruf zu verlieren.
Autor: Götz Schrage