Ein großartiges Gefühl. Fast fühle ich mich wie Cortez und Pizarro. Nur bin ich halt nur einer und das ohne Gewalt und ohne Werder Bremen. Journalistisches Neuland wird betreten. Erstmals schreibe ich bisher definitiv Ungeschriebenes. Jan Peter Jachtmann und hunderte fleißige Postzusteller machen es möglich. Pokerblatt proudly presents alles, was Sie zum Thema „Home Game“ schon immer wissen wollten, aber niemals zu fragen wagten. Bitte „Home Game“ jetzt nicht mit dem verschwiegenen Hinterzimmer verwechseln. Ich kümmere mich in dieser Kolumne auch mit keinem Satz um das studentische Kartenspiel auf notdürftig glatt gestrichenen Tischtüchern und ignoriere ähnlichen pokerblasphemischen Unfug konsequent. Es geht einzig und alleine um das semiprofessionelle Spiel in den heimischen vier Wänden mit allem was dazu gehört. Quasi fast wie im Casino und man kann sogar noch aufs eigene Klo gehen, wenn einen die anderen Gäste lassen, weil sie gerade mal kein Bier über den Tisch kippen, oder nach sonderbaren Sachen fragen, wie einem Nokia-Ladegerät Modell 8011 i. Über die notwendige Kompetenz in der Thematik verfüge ich allemal und alles, was ich bisher nicht wusste, habe ich extra für die geschätzten Hochgepokert-Leser in Erfahrung gebracht. Wer viele Jahre lang für die beste deutschsprachige Poker News Seite schreiben darf, muss irgendwann einmal auch etwas Sinnhaftes und Nutzbringendes zu bieten haben. Bitte schön. Viel Vergnügen mit meinen Gedanken zu „My Home is my Casino“.
Die zunehmende Dichte an Pokertischen in deutschen und österreichischen Haushalten lässt das private Cash Game gedeihen. Noch vor 25 Jahren gab es auf die 450 000 km² (die Fläche von Deutschland und Österreich) gerade mal ein paar wenige hundert Pokertische außerhalb der Casinos. Wahrscheinlich bestenfalls antarktische Verhältnisse, wenn man es mit der Besiedelung vergleicht. Dealerbutton und Schneidekarten waren sowieso unbekannt. Die Zahl der erfolgreichen deutschen Mount Everest Bezwinger, lag deutlich höher, als die Zahl der „Missed Blind Buttons“ im Privatbesitz. Irgendwann kam dann der dicke Boom und der große Möbelwagen und wo es viel an Equipment gibt, gibt es auch viele Ideen. Jeder kann ein wenig sein wie Benjamin Siegelbaum. Statt in der Wüste eine Stadt, baut man sich daheim ein kleines Casino. Ist auch schlauer, so nebenbei bemerkt und weniger riskant. Städte in der Wüste bauen, überlasst man besser weiterhin der Mafia. Geld verdienen will man aber auch ohne sizilianisches Blut und die Investition für Tisch, Chips, Karten und alles, was der Gamblerstore sonst noch so zu bieten an, soll sich schon rechnen. Wenn man dann noch eine tiefhängende Lampe, plus einen freien Hobbyraum hat, ist es auch schon fertig, das feine kleine Heimcasino. Dealer findet man zwar nicht bei Parship.de, aber sonst fast überall. Wer sich bemüht, bekommt das Personal, was er verdient hat und wenn es nur ein Kurs bei Horst Koch war. Kein Problem, solange das Hemd gebügelt ist und der Mischvorgang weniger als eine Minute dauert.
Wobei die Motive regional sicher höchst unterschiedlich sein können. Geographische Gründe, unsichere Rechtslage, keine zum gewünschten Limit vorhandene Alternative in den umliegenden Spielbanken und Cardrooms oder was auch immer. Wenn das „Rake“ deutlich milder gehalten wird und die Grundversorgung an Getränken und fettigen Snacks aus der Mikrowelle gesichert zu sein scheint, kann es auch schon losgehen. Der Gastgeber spielt selbstverständlich selbst mit und der Dealer analysiert die Hände nach dem Showdown ungefragt. Womit wir nach meiner Erfahrung beim ersten grundlegenden Unterschied zu den richtigen Cardrooms wären. Die gesellschaftliche Stellung des Dealers in solchen privaten Partien scheint deutlich höher angesiedelt zu sein. Fast wie von einem anderen Casinostern, werden Pötte und gute Ratschläge zugestellt. Beim Trinkgeld wird man mit dem Namen angesprochen (wenn die Höhe halbwegs passt) und wenn der Dealer glaubt, einen eigenen kleinen Schwank loswerden zu müssen, wird doppelt so lange gescrambelt. Niemand würde es wagen, etwas zu sagen oder gar etwas mehr an Geschwindigkeit einfordern. Ein weiteres Privileg wäre noch, dass der Dealer auch am Tisch rauchen darf und etwas zu trinken in Griffweite bereit steht. Durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass er ja alleine vor Ort ist. Pause gibt es keine, dafür stimmt meist das Trinkgeld und die Motivation stimmt auch. Manches Personal ist sogar grenzwertig übermotiviert und neugierig. Ich habe sogar schon einmal gegen einen jungen Mann gespielt, der es sich bei großen Bets am Turn nicht nehmen ließ, mal eben nachzusehen, was der River so an Überraschungen bringen würde. Um es nochmals zu betonen, das war eine saubere hochgradig unschuldige Partie von ebenso hochgradig sauberen und unschuldigen Mitspielern. Sonst wäre ich sofort aufgestanden und gegangen. Trotzdem ein wenig irritierend, wenn ein paar hundert Euro im Pot liegen und der Dealer schiebt halbwegs diskret die Scheidekarte und zu verbrennende Karte nach oben, drückt sich das Deck ganz nah an seinen Körper und schaut, ob der Flush am River nun ankommt oder nicht, während der Gast noch kalkuliert. Wenn man einen guten „Read“ auf den Dealer hat, kann man sich also einiges an Geld sparen.
Womit ich beim nächsten Punkt wäre. Das „Rake“, also die Kosten, die sich das Haus für seine Bemühungen aus den Pötten nimmt. Nach meiner Erfahrung durchaus im fairen und deutlich günstigeren Bereich. Wobei auch stark schwankend. Wenn der Gastgeber deutlich im Brand ist und die Gewinner schon längst in ihren Betten liegen, kann es shorthanded durchaus etwas teurer werden. Aber man sagt nichts, weil man will ja wieder eingeladen werden und so. Schwierig wird es bei kniffeligen Dealerfehlern und den entsprechenden Konsequenzen. Generell ist der Kartengeber auch der praktizierende Floorman. Das hat schon seine Tücken, und wenn sich dann noch der Gastgeber einmischt, nimmt das oft kein gutes Ende. Persönlich überlege ich mir da ein Geschäftsmodell, aber wie immer suche ich noch einen Großinvestor mit Mut zum Risiko. Der virtuelle Floorman on Demand. Skype macht es möglich. Ein kleiner fixer Obolus für die virtuelle Verfügbarkeit und wenn es dann gilt, eine Entscheidung zu treffen, klickt der Gastgeber einfach auf „Gespräch starten“ und der Floorman-Dienst macht sich per Webcam selbst ein Bild, lässt sich die Situation vom Dealer schildern und trifft seine rechtsverbindliche Entscheidung. Von Norderney bis ins Südburgendland müsste in keinem privaten Home Game mehr ernsthaft gestritten werden und als wahrscheinlich zweitbester aktiver Pokerjurist im deutschen Sprachraum (bescheiden bewertet), könnte ich es mit meiner Geschäftsidee doch noch zu Ansehen und Reichtum bringen. Vielleicht erweitere ich dann noch auf Lebensberatung und Paartherapie. Dann klappt es auch mit dem gewünschten Maybach, bevor die Firma wirklich dicht macht.
Nochmals zurück zu den kleinen Glücksgefühlen unserer irdischen Existenz, und da fällt mir doch sofort das Sprichwort der alten Indianer ein. „Erst wenn der Pizzadienst nicht mehr liefert und das letzte Paar Würstchen gegessen ist, wird der Pokerspieler entdecken, dass Popcorn essen einfach nicht satt macht“. Definitiv ein Nachteil. Dafür freuen sich die Raucher zu jeder Uhrzeit, nachdem man sie mit restriktiven Maßnahmen aus den ursprünglichen Siedlungsräumen vertrieben hat, genießen sie ihr Laster. Das hilft dann auch gegen das Hungergefühl zum Morgengrauen. Zumindest, solange man bei den normalen Zigaretten bleibt. Auch bei polnischen Marlboro bleibt einem nicht nur die Atemluft weg, auch der sonst so amüsante „Fressflash“ stellt sich höchst selten ein. Für mich kein Problem, ich mag die jamaikanische Sektion. Der kiffende Pokerspieler ist nicht mein Feind, sondern schon eher mein Brother. Nur die koksenden Nervensägen sollen in den schmierigen Hinterzimmern bleiben. Da passen sie hin. Da soll man sie nicht vertreiben, und irgendwo müssen sie ja ihre hektischen Nächte verbringen. Der Partykeller ist maximal den Tütenbauern vorbehalten. Das sorgt für Spaß und auch die langweiligste Bad Beat Story kann durchaus charmant sein, wenn sie im entsprechend schleppenden Tonfall vorgetragen wird. Cheech and Chong leben und sie spielen fast jede Nacht Poker und irgendwann gibt es dann hoffentlich auch einen neuen Film und ich werde das Drehbuch schreiben.
Zuletzt noch ein paar Gedanken zum Thema Sicherheit. Mir ist schon klar, dass nicht überall alles so sauber ist, wie es sein sollte. Nur solange man in bescheidenen Limits bleibt, betrachte ich betrügerische Versuche als Teil der Show und Part of the Challenge. Abgesehen davon, wenn zwei kleine Geister zusammenspielen, werden sie auch im Team noch keineswegs zum unschlagbaren Gegner. Mein Tipp, einfach mal dem Bauch vertrauen und die Augen wach halten. Wenn es schon keine Würstchen mehr gibt und man trotzdem „Rake“ zahlen muss, will man nicht auch noch übervorteilt werden. Aber gefühlsmäßig befinden wir uns da noch in der Phase der Unschuld. Eventuell eine weitere Idee für meine noch zu gründende Firma. Der virtuelle Floorman und für ein kleines Extrageld gibt es auch noch eine Sicherheitsüberwachung per Skype. Schon alleine das Wissen um den Big Floorman, der von oben zusieht, wird die eine oder andere böse Absicht am Flop ersticken. Großartiger Gedanke, das Home Game mit Sicherheitszertifikat meiner Firma. Wo unsere Kamera drüber hängt, wird sauber gespielt und das garantiere ich mit meinem guten Namen. Vielleicht lass ich das mit dem Maybach und bestelle mir gleich einen Bugatti Veyron. Reichtum, ich bin bereit für dich!
Autor: Götz Schrage