„Poker nach Lehrbuch“ ist ein geflügeltes Wort. Wieso spielen Profis Hände dennoch so unterschiedlich? Um Einblick in die Denkweise des Profis zu bekommen, haben wir zwei Pros mit der gleichen Konstellation konfrontiert. Dass die verschiedenen Poker-Generationen die Hände zum Teil sehr unterschiedlich spielen, beweisen wir wieder einmal in unserer Rubrik „Eine Hand – zwei Meinungen“. Wir befragten mit Christophe Gross und Ivo Donev zwei bekannte Poker-Profis der deutschsprachigen Poker-Szene.
Handanalyse der Pros
Eine Hand – zwei Meinungen
Handbeschreibung:
WSOP 2010 Main-Event Tag 8
Noch 15 Spieler im Turnier. Die Blinds sind bei 100.000 / 200.000 / Ante 30.000.
Matt Affleck / Stack 20.525.000
Jonathan Duhamel / Stack 30.575.000
Matt Affleck hält am Cutoff und raist auf 550.000, Jonathan Duhamel reraist vom Button mit auf 1.550.000, die von Matt wiederum auf insgesamt 3.925.000 erhöht werden. Jonathan callt und beide schauen sich den Flop von an.
Jonathan check- callt die Bet von 5.000.000 die Matt bringt.
Der Turn bringt die und Matt geht für 11.600.000 All-In. Jonathan überlegt eine gefühlte Ewigkeit und callt schließlich.
Der River bring die und damit für Jonathan die Straight. Matt muss auf Platz 15 das Turnier verlassen.
Hier ist die Hand als Video:
Meinung Christophe Gross:
Preflop:
Matt raist mit AA im Cutoff auf 550k, ziemlich klassisch. Jonathan findet JJ am Button und steht hier vor seiner ersten Entscheidung: raisen oder flatten. Aufgrund der späten Position, in der sie spielen, halte ich ein Raise für angebrachter, denn Jonathan könnte mit flatten in eine schwierige Lage kommen, wenn einer der Blinds sich entscheidet zu squeezen.
An dieser Stelle muss ich aber noch hinzufügen, dass ich weder Ahnung von der aktuellen Tischdynamik habe, noch von den Stacksizes und Spielertypen der Blinds. Oft kann ein Call hier das bessere Spiel sein um loosere/shortere Blinds hier zum Squeezen zu inducen.
Nun, Jonathan 3-bettet 1,5 Mio. (auch Standardsize). Die Blinds folden. Matt entscheidet sich zu 4-betten. Was auch Sinn macht mit seiner Hand, um den Pott aufzubauen, zumal er auch out-of-Position spielt. Nun kommt Jonathan in eine schwierige Lage, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen, um zu definieren, was die Range des Gegners ist, und ob man hier profitabel die Hand weiterspielen kann:
– Turniersituation: Wir sitzen gerade im Main Event mit 15 Leuten left. Was die Turnierphase ist, in der keiner rausfliegen möchte und das Spiel entsprechend tighter wird. 20 Mio. und 30 Mio. sind ziemlich große Stacks gegenüber dem Average.
– Image/History: Ist Matt ein aggressiver Spieler, der fähig ist die Turniersituation auszunutzen, um solch einen Move mit weniger als der klassischen Range (sagen wir mal [QQ+,][AK] weil das Spiel generell tighter ist, mal abgesehen davon, dass die 2 im Cutoff und Button sitzen) zu machen. Haben die 2 sich vorher schon gebattled? Ist er Postflop eher passiv oder aggressiv bzw. wird er mit Luft barreln?
– Mathematik: Jonathan muss etwa 2,5 Mio. callen, um noch weitere 16 Mio. zu gewinnen. Das wären etwa 1 zu 6,5, was reines Setmining betrifft, und 1 zu 8 sollte das eigentliche absolute Minimum sein, besser 1 zu 15.
Gegen die klassische Range [QQ+,AK] haben JJ etwa 35%. Also rein mathematisch in dieser Turnierphase gegen die eine klassische Range (wäre Matt tight und straight) ist Fold sogar die beste Lösung.
Bezieht man aber noch die Bluffrange mit ein, den Fakt, das Matt sicher zu Moves fähig, und zusätzlich auch noch Postflop mit Luft reinschieben könnte, sollte der Call mit JJ hier +ev sein, +Postion, auch wenn der Pott gegenüber des restlichen Stacks schon ziemlich groß ist. Außerdem hat Jonathan hier noch die Möglichkeit als absoluter Chipleader aus der Hand zu gehen, und falls er sie verliert, hat er noch einen spielbaren Stack (10 Mio.).
Alles Dinge, die man sich an dieser Stelle schon überlegen sollte!
Jonathan entscheidet sich zu callen, was ziemlich grenzwertig ist, aber sicher seiner Einschätzung des Gegners entspricht. Hier All-In zu gehen halte ich für schlechter, da er dann bestenfalls gegen AK flippt, und die Bluffrange von Matt hier foldet.
Flop:
So ziemlich die einfachste Street in der Hand. Matt contibettet 5 Mio., was etwa ½ Pott ist. Die Betsize gefällt mir gut, da:
– AA fast immer hier die beste Hand sein wird auf dem trockenen T97 Board gegenüber der Range von Jonathan.
– Es den Gegner quasi commited
– Diese Betsize kaum etwas über seine Hand aussagt
Ich halte sowas wie 4 Mio. – 4,5 Mio. vielleicht für noch etwas besser.
Das Board ist so runtergekommen, das Matt sicher mit 100% seiner Range contibettet und sogar Jonathans Hand etwas hilft (kein A oder K und Bonusgutshot), und er muss hier im Grunde nur über eins nachdenken: ‚Call ich ein All-In am River?‘ Hier All-In zu gehen ist immer noch Nonsens, denn entweder Matt sitzt hier weiterhin mit Luft, die er evtl. am River reinschiebt, oder hat ihn beat und keine bessere Hand wird hier folden. Da Jonathan preflop gecallt hat, wäre es absoluter Schwachsinn den Flop zu folden. Callen ist das Einzige was hier wirklich Sinn macht, was er auch tut.
Turn:
Q ist keine wirkliche Blank. Sie könnte sowohl Matts als auch Jonathans Hand verbessert haben. Für Matt sieht es so aus: Im Pott sind 18 Mio., er hat 11 Mio. left und AA. Folden steht außer Frage. Bluffinducen durch Checken ist mittlerweile auf dem Board zu gefährlich. Ergebnis: All-In gehen und beten, dass AA hier (noch) gut ist, auch wenn ihm die Q nicht gefällt. Hat er getan.
Für Jonathan ist es jetzt hart. Es ist mittlerweile ziemlich unwahrscheinlich, dass er noch die beste Hand hält, denn die Q ist keine Karte für Matt hier noch als Bluff reinzuschieben, zumal er weiß, dass Jonathan im Grunde commited ist, die Q ihm geholfen haben könnte und dementsprechend sehr dicke Eier dafür braucht sein Turnierleben aufs Spiel zu setzen:P
Könnte noch ein Semibluff mit J-type- oder karotype Hands sein.
Und zuguterletzt das Wahrscheinlichste: Matt hat Value gegen die er mit Sicherheit mit JJ hinten liegt, aber 6-10 Outs hat (6 vs KK schlimmster Fall, 10 vs AA z.B.). Im Schnitt sollten es aber etwa 8 sein.
Damit kann Jonathan hier wieder den ganzen Handverlauf durchgehen, einschätzen wie wahrscheinlich Bluff und Semibluff sind und letztendlich wird’s nur eine mathematische Frage.
Seine Equity sollte insgesamt so etwa zwischen 20% und 25% liegen alles in allem. Im Pott sind 29 Mio. (18+11) und er muss noch 11 Mio. callen. Was knapp 27% Equity ist.
Der Call an sich ist im Grunde -ev, aber nun kommt die Turniersituation wieder ins Spiel. Gewinnt Jonathan bringt es ihn in eine sehr gute Position, wahrscheinlich Chipleader am Final-Table. Verliert er, hat er immer noch 10 Mio. übrig, was noch 50 BB entspricht und noch einigermaßen spielbar ist. Das könnte und sollte der ausschlaggebende Faktor sein hier sich für den Call zu entscheiden (ICM).
Ganz ehrlich verstehe ich nicht, warum Jonathan hier am Turn so lang getank hat. Vielleicht hat er Livetells bekommen, mit denen er sich dann sicher war, das Matt ihn Beat hat, was seine Equity mindert. Keine Ahnung. Auf jeden Fall finde ich die Entscheidung Preflop schwerer und wichtiger, als am Turn. Naja, die Hitze des Gefechts ^^
Hätte ich selber am Turn gecallt? Ja.
Hätte ich Preflop gecallt?
– Wenn ich denke, der Gegner ist loose genug. Ja.
– Gegen standard tight-aggro Spieler. Nein.
– Gegen weaktight. Ja.
Meinung Ivo Donev:
Eine sehr interessante und lehrreiche Situation!
Zuerst muss man einige wichtige Faktoren beachten:
- a) Es ist am achten Tag des größten Turniers des Jahres.
- b) Wie hoch ist der Average – um die 14,5 Millionen, also beide Spieler lagen deutlich über Average!
- c) Was kostet eine Runde? Ich meine die Summe von Blindes und Antes, der sogenannte ,,M“ = 100.000+200.000+210.000 (Antes bei 7 Spielern) = 510.000.
- d) Wie viel ,,M“ habe ich und mein Gegner? Matt hat ca. einen von 40 und Jonathan ca. von 60.
Also beide Spieler haben Deepstacks für diese Turnierphase!
- e) Von 7319 gestarteten Spielern sind nur noch 15 Spieler übrig und die Preise steigen gewaltig: z.B. 13.-15. Platz sind 500.000 $, aber 10.-12. Platz 635.000 $. Also bald findet ein Sprung von 135.000 $ statt. Noch wichtiger wäre natürlich, wenn man an den Final-Table der November Nine schafft!
Jetzt analysiere ich die Hand aus meiner Sicht, also wie ich sie gespielt hätte, anstelle von Matt Affleck.
Alle folden bis zum Big-Stack Jonathan Duhamel (Cutoff), der mit einem Raise von 550.000 eröffnet. Ich bin am Button mit der besten Holdem preflop Starthand AA und möchte gerne so viel wie möglich gewinnen. Jetzt habe ich zwei Optionen.
- Ein Call – den könnte man am Anfang eines Turniers anwenden. Die Preisgelder sind noch sehr weit entfernt, und wenn man AA am Button bekommt und der Cutoff als Erster raist ist ein flat call möglich, um zu versuchen aus der Kombination starke Hand + beste Position nach dem Flop etwas mehr herauszuholen. Aber bei den letzten 15 Spielern in einem großen Turnier ist diese,,fishing“-Strategie nicht zu empfehlen! Das Risiko eines Suckouts ist hier viel zu teuer!
- Ein Reraise – das denke ich, ist der richtige Zug. So kannst du dir fast sicher sein, dass du den Raiser isolieren wirst, denn die Blinds werden niemals einen Double-Raise nachzahlen, ohne eine bomben Hand zu haben.
Ok Raise, aber wie hoch? Ich denke um das 3- bis 4-fache, also um die 1,6 bis 2 Millionen. Es ist möglich, dass mein Gegner zu stehlen versucht und eine schlechte Hand hat – dann spielt es keine Rolle ob ich ihn 3- oder 4-fach geraist habe. Aber falls er wirklich eine gute Hand hat, dann spielt es eine große Rolle wie hoch ich ihn reraise!
Für mich ist der Kampf im Holdem wie ein Haus zu bauen – zuerst legt man die Bodenplatte (der Kampf vor dem Flop), dann den ersten Stock (am Flop), dann den zweiten Stock (am Turn) und am Ende ein solides Dach (der River)!
So ist sein Reraise auf 1.550.000 voll in Ordnung, wobei ich bevorzuge etwas mehr zu reraisen, wie ich gesagt habe 1,6 bis 2 Millionen.
Jetzt wird es interessant: Die beiden Blinds folden und Jonathan Duhamel erhöhte wieder auf 3.925.000! Wow! Was für ein Traum-Szenarium. In diesem Fall hat Jonathan Duhamel höchstwahrscheinlich wirklich eine sehr starke Hand wie KK, QQ, JJ oder AK. Nun muss man eine Schlüsselentscheidung treffen!
- Call – Falls ich calle, erlaube ich meinem Gegner den Flop zu sehen und der Pot wächst auf 8,5 Millionen an. Matt bleiben um die 16,5 Millionen Rest. Die Idee jetzt einen flat call zu machen und meinem Gegner einen freien Flop zu erlauben gefällt mir nicht. Jonathan wird sofort merken, dass sein Gegner eine bessere Hand als seine Buben hat! Ich denke hier hat Matt einen Fehler gemacht! Es ist schwer zu sagen, wie groß dieser Fehler ist! Aber auf alle Fälle bricht er meine goldene Regel, besonders für spätere Turnierphasen: ,,Besser einen Spatz in der Hand, als die Taube in der Luft.“
- Reraise ALL- IN – Das ist meiner Meinung nach die richtige Entscheidung! Also im Pot liegen um die 8,5 Millionen + 16,5 Millionen reraise! Also um den Flop zu sehen, muss Jonathan Duhamel 16,5 Millionen bringen, was ihm Pot Odds von 1 zu 1,5 gibt. Mit seinen paar Buben wird er sehr alt ausschauen gegen die möglichen Ränge von Matts Händen (AA, KK, QQ oder im besten Fall AK). So wird Jonathan Duhamel nach diesem Move wahrscheinlich folden und Matt sein Stack mit 20% ohne Risiko vergrößern!
Matt Affleck callt und beide sehen den Flop Td 9c 7h. Jetzt war für Jonathan Duhamel klar, wenn Matt die 4-Bet vor dem Flop callt, dass seine JJ nicht gut sind. Am Flop hat er 6 Outs (vier 8er für Straße und zwei Buben für Drilling) um gegen das wahrscheinliche Overpaar zu gewinnen. Also check, das ist völlig ok. Matt wettet nun 5 Millionen, setzte sozusagen seine „Fishing“-Strategie fort?! Dadurch gibt er seinem Gegner die Odds von 5 zu 13,5 oder einfach gesagt von 1 zu 2,7. Mit seinen 6 Outs hat er um die 25 % Gewinnchancen (1 zu 3), falls er bis zum River geht! Der Turn: Qd. Jetzt hat Jonathan Duhamel einen open-ended-Straightdraw, aber er weiß, dass in diesem Moment seine Buben nicht gut genug sind, um diesen riesen Pot zu gewinnen. Darum checkt er wieder, mit der Hoffnung eine freie Karte zu bekommen. Jetzt schießt Matt seine letzte Patrone, nämlich All-In für 11,6 Millionen. So, jetzt steht Jonathan Duhamel vor einer schweren Entscheidung. Er nimmt sich sehr viel Zeit, so etwa 5 Minuten!!! Schlussendlich entscheidet er sich für den Call. Schauen wir detailliert, was die Mathematik dazu sagt. Was wissen wir sicher: Im Pot sind etwa über 30.000.000 und Jonathan Duhamel muss 11,6 Millionen callen. Das gibt ihm Pot Odds von circa 2,6 zu 1. Jetzt rechnen wir die Gewinnchancen mit seinem open-ended-Straightdraw in diesem Moment. Falls Jonathan Duhamel gegen AA spielt, liegt er in diesem Moment 22,7% zu 77,3% hinten, oder die Odds 1 zu 3,4. Falls Jonathan Duhamel gegen KK (13,6% zu 86,3%) oder QQ (18% gegen 82%) spielt, wird es noch schlimmer, weil ihm jetzt ein Bube am River nicht hilft. Also ist dieser Call auf alle Fälle mit negativer mathematischer Erwartung. Aber Poker ist nicht reine Mathematik! Falls Jonathan Duhamel diesen Riesenpot gewinnt, ist er Chipleader und landet fast sicher am Finaltisch. Falls er verliert, bleibt er immer noch im Turnier mit etwa 10 Millionen. Bei Matt Affleck ging es in dieer Situation, um (Turnier-) Leben oder tot. Weil er 10 Millionen weniger als Jonathan Duhamel hatte, falls er verlieren würde, wäre das für ihn die Endstation kurz vor dem Final-Table! Und am Ende, nach 5 Minuten, entscheidet sich Jonathan Duhamel am Turn zu callen. Wie in einem Märchen mit schlechtem Ende kommt am River eine 8, die die Straße von Jonathan vervollständigt und Matt kurz vor dem Finaltisch ausscheiden lässt!
FAZIT: Meine goldene Regel, die besonders in späteren Phasen eines Turniers immer
wichtiger wird: ,,Lieber den kleinen Pot sicher, statt den großen Pot aber unsicher!“
Euer Ivo „The Chess Master“
Autoren: Christophe Gross, Ivo Donev
Bild Quelle: Tomas Stacha,