Geld ausleihen, aber richtig. Ein kleiner Leitfaden für den chronisch unterkapitalisierten Zeitgenossen. Haben wir dieses Thema eigentlich schon einmal gemeinsam erörtert? In angemessener Ausführlichkeit und untermauert von über Jahrzehnten erlebten und erlittenen Fallbeispielen? Ich bin mir nicht ganz sicher. Immerhin lässt mich der liebe Gott bereits seit vielen Jahren kolumnisieren. Da kann es schon mal passieren, dass man sich thematisch wiederholt. Im Casino passiert auch nicht jeden Tag etwas Neues und ich muss ja auch an die jungen Leser denken, die vielleicht erst vor wenigen Monaten zu uns in die geschätzte Hochgepokert-Community gestoßen sind. Irgendwer muss die jungen Menschen ja warnen und ihnen die Augen öffnen. Geld verleihen im Casino kostet Geld und bringt selten Glück. Der eine hat weniger in der Tasche und muss hoffen, dass die Scheine wieder den Weg zurück finden, der andere spielt meist angeschlagen und mit geliehenem Geld und kämpft sich nur selten aus dem Brand. Wie auch immer, ich werde mich in der folgenden Kolumne um etwas Struktur bemühen und wünsche wie immer viel Vergnügen.
Profis leihen sich gegenseitig Geld. Die wohl unspektakulärste Variante. Oft geht es nur darum, die böse Form der Nacht ein wenig gerade zu biegen und wer schleppt schon gerne seine ganze Bankroll mit sich rum. So gesehen, nichts anderes als eine imaginäre Kreditkarte, nur ohne Zinsen und Reisegepäckversicherung. Da fällt mir eine schöne Geschichte aus der guten alten Pokerzeit ein. Einer der ersten ausländischen Pros, die sich zu Beginn der 90er Jahre ins paradiesische Wien aufmachte – nennen wir ihn Jack – hatte eine furchtbare Seuche und den berühmten Hang zu schnellen Frauen und langsamen Pferden. Zwar war er ein bärenstarker Spieler, aber trotzdem broke. So unglaublich das auch klingen mag, ich gehörte damals zu den erfolgreichsten Berufsspielern im unschuldigen Wien und wir kannten uns alle und halfen uns, wo es notwendig war. Im dem Fall hatte eben besagter „Jack“ unsere Hilfe nötig, und so legten wir zusammen. Jeder gab so im Schnitt 1.500 Euro und mit geschätzten 9.000 Euro Startkapital sollte sich „Jack“ wieder neu aufbauen. Die einzige Bedingung war, er sollte es woanders tun, eben weil er ein sehr starker Spieler war und uns mit dem geliehenen Geld nicht im Weg stehen sollte. Der Rest ist schnell erzählt. „Jack“ startete seine Comeback-Tour in Salzburg, weiter ging es nach Barcelona und London. Irgendwann stand er dann, wie erwartet, im Wiener Concord Card Casino wieder an der Bar. Braungebrannt, die Taschen gut gefüllt und jeder bekam sein Geld zurück und wenn ich an die vielen Drinks dieser Nacht zurückdenke, brummt mir noch heute der Schädel.
Profis verleihen Geld und wollen es gleich wieder gewinnen. Früher hätte ich an dieser Stelle wohl die kreativere Überschrift: „Profis füttern Fische“ gewählt, aber ich verwende respektlosen Terminus für verlierende Spieler nicht mehr. Keineswegs aus übertriebener „Polictical Correctness“, das wäre mir ein viel zu schwules Motiv und bei meiner durch und durch unkorrekten Persönlichkeit auch nicht angebracht. Die Verachtung der „Fische“ unterstütze ich nicht mehr, weil 99% der kurzzeitigen Gegenwartsgewinner, denen dieser Ausdruck in so selbstgerechter Selbstüberschätzung allzu leicht über die Lippen kommt, werden sich schon bald in ihren persönlichen Schwarm der Freier einordnen müssen. Da möchte man doch zumindest sprachlich ein wenig auf Distanz gehen. Aber zurück zum Thema. Gewinnende Spieler geben den wohlsituierten Verlierern Kredit und zwar in bar und direkt am Pokertisch. Dann wird dieses Geld im Schnelldurchgang zurückgewonnen und mit mehr oder minder wenig Aufwand zu einem späteren Zeitpunkt ein zweites Mal kassiert. Alt bewährt und tragischerweise oft auch noch aufrichtig bedankt von denen, die man früher „Fische“ nannte (wovon ich mich gleich nochmals distanziere, obwohl ich nachweislich zu dem einen schlauen Prozent meines obigen Beispiels gehöre.) In alten Tagen sehr beliebt und ganz besonders unfein ist es, den verlierenden Spieler mit ein paar Scheinen auf Pump aus der Reserve zu locken. „Können wir nicht ein bisschen höher spielen.“ Am Ende war der Spieler, dessen einzige Überlebensstrategie darin bestand, mit relativ dünnem Bargeld ins Casino zu gehen, dann doch nach allen Regeln der Kunst filetiert und ausgenommen. Manchmal geht der Plan der Profis allerdings nicht auf und der Schuldige weigert sich zu kooperieren, stirbt rücksichtsloserweise ohne zu fragen oder wird langfristig eingesperrt. Das wäre dann metaphorisch die Rache des wechselwarmen Wirbeltieres und wer in Biologie nicht aufgepasst hat, wird jetzt wohl verwirrt sein. Aber das ist mir nebenbei bemerkt natürlich völlig egal.
Geldverleiher verleihen Geld gegen Zinsen. Darüber könnte ich einen ganzen Roman schreiben und mindestens drei Drehbücher für vier Filme. Allerdings auf dringliches Anraten meiner Frau, meines Psychotherapeuten und einem Versprechen, welches ich meinem ehrenamtlichen Bewährungshelfer gegeben habe, warte ich damit noch mindestens zwanzig Jahre. Als kleiner erzählerischer Trailer nur so viel. Ja, es gibt sie tatsächlich, und sie wollen ihr Geld auch wirklich zurück. Und, um Missverständnissen vorzubeugen, ich persönlich habe mir in meinem Casinoleben noch nie auch nur einen Cent gegen einen Cent Zinsen ausgeliehen (womit das Wirtschaftsmodell zumindest zart angedeutet wäre), aber genug zu erzählen hätte ich allemal.
Schlechte Spieler leihen sich von schlechten Spielern Geld. Zur Erläuterung, schlechte Spieler nehmen andere schlechte Spieler anders wahr. Ähnlich dem eitlen Riesenassel Männchen, das sich von so manchem Riesenassel Weibchen umschwärmen lässt, hat auch noch der dümmste chronische Geldvernichter seinen Fanboy. Zumindest solange er halbwegs hohe Limits spielt und danach noch Zeit für das gemeinsame Jammern an der Casinobar bleibt. Und obwohl diese Kolumne doch eher den Cash Game Spielern gewidmet ist, sei an dieser Stelle erwähnt, dass genau dieser Spielertyp bei Turnieren nach immer mehr Startchips und längeren Levelzeiten verlangt. Statt auf den Glücksfaktor als einzig möglichen Verbündeten zu hoffen, setzt man auf nicht vorhandene Skills und hat dann wieder genug Zeit an der Bar. Doch zurück zur temporären Bargeldlosigkeit. Das kommt in den besten Kreisen vor und wozu hat man schließlich seinen Fanboy. Als Mitspieler merkt man sofort, dass etwas anders ist als sonst. Ab dem Moment, wo der Fan in sein Idol investiert, wackelt der Sockel gefährlich. Der ehrfurchtsvolle Respektabstand weicht einer sonderbaren Distanzlosigkeit. Statt einen Meter dahinter – wie es sich für einen ordentlichen Kiebitz gehört – sitzt der frisch gebackene Investor quasi fast auf dem Schoß seines Partners. Spätestens dann kennt man die ganz Story. Die beiden spielen zumindest für die heutige Session auf gemeinsame Kasse, allerdings zur Gänze vorfinanziert vom Fanboy. Kein Wunder, dass er am liebsten mitten am Tisch sitzen würde, um die Hände fachmännisch und live vor Ort zu analysieren.
Der Schnorrer leiht sich Geld. Kommt in den besten Casinos vor. Bitte niemals vergessen, dass auch diese Spezies Teil der großen Schöpfung ist und entsprechend geachtet und respektiert werden sollte. Nach Einbruch der Abenddämmerung ist sie oft im Schatten der einarmigen Banditen anzutreffen. Rotierende Walzen, goldene Sterne und bunte Früchte scheinen auf sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben. Bitte überlassen Sie die Fütterung romantischen Hobbysoziologen wie mir. Es braucht viel Erfahrung, Fachwissen und einiges an Kapitalreserven, um mit dem gemeinen Schnorrer richtig umzugehen. Ganz zu schweigen vom äußerst gefährlichen Königsschnorrer, der zwar lange Zeit als ausgestorben galt, jedoch kürzlich mehrfach gesichtet wurde, wie auch äußerst seriöse Floormänner bestätigen können. Am Anfang steht immer die Story. Warum, wieso und aus welchen Gründen dringender Finanzbedarf besteht und warum ausgerechnet Sie (und nur Sie!) helfen können. Die Geschichten sind oft so hanebüchen und abstrus und genau das macht sie in gewisser Weise auch so gefährlich. Es stellt sich dieses „Wer-kann-sich-so-etwas-schon-ausdenken-Gefühl“ ein und schon hat man so gut wie verloren. An dieser Stelle mein Tipp, zahlen Sie unmittelbar und sofort. Diskutieren Sie nicht, fragen Sie bitte auf keinen Fall nach und versuchen Sie schnell und billig aus der Sache rauszukommen. Mit einem rasch gezückten Hunderteuroschein können Sie sich Ihre Freiheit zurückkaufen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es jemals den Versuch einer Rückzahlung geben sollte, müssen Sie sich rasch verstecken. Beim nächsten Mal kämen Sie bei weitem nicht so billig davon und abgesehen davon, hätten Sie die Bürde des (einmalig) korrekt abgewickelten Geldgeschäftes hinter sich. Ungeahnte Dimensionen stürzen dann wohlmöglich auf Sie ein. Deswegen mein wiederholter Tipp, so wenig wie möglich zahlen und dann so schnell wie möglich das Weite suchen. Sollte Ihr Zahlungswille von eigener scheintechnischer Schwäche gebremst werden, dann suchen Sie sich einfach den nächsten Geldverleiher, aber erwähnen Sie bitte keinesfalls meinen Namen. Dankeschön.
Euer Götz Schrage