Er zählt sicher zu den umstrittensten Figuren in der Pokerszene, aber auch zu den erfolgreichsten Spielern aller Zeiten und auch in diesem Jahr wieder zu den Kandidaten für den Titel des WSOP Player of the Year. Chris Ferguson erlebte als Poker-Weltmeister und als Unternehmer, wie es sich im Pokerolymp anfühlt, durch den Untergang von Full Tilt und unzählige Anfeindungen aber auch unvorstellbare Tiefen.
Uni und Poker
Es heißt, der Apfel falle nicht weit vom Stamm, und im Fall von Chris Ferguson stimmt das allemal. Seine beiden Eltern sind promovierte Mathematiker, und sein Vater Thomas lehrte an der UCLA Spieltheorie, sodass es sicher keine Sensation darstellt, dass auch der 1963 geborene Christopher Philip eine naturwissenschaftliche Karriere einschlug.
Allerdings dauerte es ein wenig, bis Chris Ferguson zu akademischen Ehren kam, denn bei seiner Promotion zum Doktor der Informatik war er bereits 36 Jahre alt und längst in der Pokerszene etabliert.
Bereits im Jahr 1993 holte sich Ferguson beim Pai Gow Poker seinen ersten Eintrag im Hendon Mob und nahm vor allem an kleineren Turnieren teil. 1995 startete er dann seinen ersten Anlauf bei der World Series of Poker, wo er beim $1.500 Razz prompt seinen ersten Cash erzielte. Viele weitere sollten folgen.
Das große Jahr 2000
Ab Mitte der Neunzigerjahre war Ferguson Stammgast bei der WSOP, musste sich aber mit kleineren Cashes begnügen. Zwar reichte es zu mehreren Finaltischen, doch der erste ganz große Wurf ließ bis zum 1. Mai 2000 auf sich warten. An diesem Tag holte „Jesus“, wie er aufgrund seiner Frisur und seines Barts genannt wird, sein erstes WSOP Bracelet beim Seven Card Stud, wo er 150 Kontrahenten hinter sich ließ und eine Siegprämie von $151.000 kassierte.
Dieser Sieg war aber nur der Vorbote des ganz großen Triumphs, der zwei Wochen später folgen sollte. Beim Main Event der WSOP setzte sich Ferguson im entscheidenden Heads-Up gegen den legendären TJ Cloutier durch und trug sich in die Poker-Geschichtsbücher ein. Für seinen Sieg über 511 Konkurrenten erhielt er außerdem ein Preisgeld von $1,5 Millionen.
Ferguson war einer derjenigen Vorreiter, die Poker als Spiel der Wahrscheinlichkeit und der Spieltheorie begriffen, und er versuchte auch schon früh, seinen Gegnern mit Sonnenbrille und stoischem Blick jegliche Informationen vorzuenthalten.
Die Jahre in der Weltspitze
Ferguson bewies in der Folge, dass seine Erfolge kein Zufall waren. 2001 gewann er das nächste Bracelet beim Limit Omaha, 2002 wurde er Runner-Up beim Pot-Limit Hold’em und 2003 landete er innerhalb von sechs Tagen einen Doppelschlag und räumte zwei Bracelets bei Omaha Hi/lo und bei einem gemischten Limit Hold’em/Seven Card Stud-Turnier ab.
Insgesamt achtmal landete „Jesus“ in diesem geschichtsträchtigen Jahr im Preisgeld, doch finanziell sollte seine ganz große Zeit erst noch kommen.
Gut ein Jahr nach Chris Moneymakers Paukenschlag bei der WSOP reagierte Ferguson auf den stetig wachsenden Pokerboom und gründete Full Tilt Poker.
Fortan agierte Ferguson zweigleisig – als Pokerprofi und als Unternehmer. Im Jahr 2005 feierte er mit einem Gesamtgewinn von über $1,8 Millionen sein bis heute finanziell erfolgreichstes Jahr an den Pokertischen und er baute mit seinen Mitstreitern Howard Lederer und Ray Bitar einen der größten Online-Pokeranbieter der Welt auf.
Das legendäre Full-Tilt-Team
Die Gründer von Full Tilt hatten ein geniales Marketing-Konzept. Sie beteiligten einige der besten Spieler der Welt wie Phil Ivey, Gus Hansen, Mike Matusow oder Tom Dwan an ihrem Unternehmen, und diese warben mit ihrem Namen für die aufstrebende Marke.
Full Tilt Poker war zwar nie der größte Online-Anbieter, aber bis zum Niedergang sicher der coolste und mondänste. Die Full Million Dollar Challenges, die in Deutschland veranstaltet wurden, waren gigantische Partys und werden für die, die dort waren, unvergesslich bleiben.
Allerdings war es bereits nach wenigen Jahren um Full Tilt Poker geschehen. Nach dem Einmarsch des FBI im April 2011 in die Büroräume und der anschließenden Stilllegung der Online-Seite wegen angeblicher Schneeballsysteme wurde die Seite zwar später von PokerStars gekauft, konnte sich aber nie mehr erholen und wurde mittlerweile vom Netz genommen.
Ferguson und seine Mitstreiter wurden angeklagt, aber nicht verurteilt, da ihre Anwälte glaubhaft machen konnten, dass die Pleite von Full Tilt nicht auf Betrug, sondern Missmanagement zurückzuführen war, und einen Vergleich in unbekannter Höhe aushandelten.
Während sich Howard Lederer später ausgiebig äußerte und dafür heftige Schelte einstecken musste, hat sich Ferguson nie zu seiner Sicht der Dinge geäußert, sondern sich nur zu einer 42 Sekunden langen „Entschuldigung“ herabgelassen:
Das Comeback als Spieler
Als Spieler verschwand Ferguson danach über fünf Jahre von der Turnierbühne, ehe er bei der WSOP 2016 sein Comeback feierte. Viel Kritik prasselte auf ihn nieder, als Ferguson quasi aus der Versenkung wieder an den Pokertisch zurückkehrte, aber die Anfeindungen schadeten dem mittlerweile 53-Jährigen nicht.
Mit zehn Cashes und einem Finaltisch fiel das Comeback überzeugend aus, war aber nur der Vorgeschmack auf das Jahr 2017. Dann landete Ferguson sagenhafte 23 Male im Preisgeld, holte sein sechstes Bracelet bei der WSOP Europe und krönte sich – nicht zur Freude aller Pokerfans – zum WSOP Player of the Year.
Auch in den beiden vergangenen Jahren nahm Ferguson mit einigem Erfolg an der WSOP teil, obwohl es nicht mehr zum ganz großen Wurf reichte.
In der POY-Wertung wurde er im Vorjahr 14., und dieses Jahr kommt er als Neunter nach Rozvadov.
Unabhängig davon ist er mit bisher 139 WSOP-Cashes einer der erfolgreichsten Teilnehmer der Poker-Weltmeisterschaft aller Zeiten und wurde im Juni 2019 von der WSOP als einer der 50 besten Pokerspieler aller Zeiten ausgezeichnet.