In der Nacht von Freitag auf Samstag erreichte uns diese Meldung, und zunächst einmal klang es unglaublich: Die Verantwortlichen der World Series of Poker hatten sich bei der Punktevergabe für die Player-of-the-Year-Wertung einen groben Schnitzer erlaubt und Daniel Negreanu verliert seinen heißgeliebten dritten POY-Titel.
Nach und nach verdichteten sich die Informationen dazu, die WSOP bestätigte den Fauxpas und wir haben für euch alle Details zusammengetragen und hier erklärt.
Daniel Negreanu hat sich mittlerweile in einem Blog-Beitrag zu Wort gemeldet und die Sache aus seiner Warte erklärt. Natürlich schwingt eine große Portion Enttäuschung mit, generell sieht er es jedoch erstaunlich abgeklärt. Vor allem zeigt DNeg wieder einmal, dass er ein echter Sportsmann ist!
Im Endeffekt ist es aber so: Beim Poker ist jeder für sich selbst verantwortlich und wenn man sich nicht hundertprozentig sicher ist, sollte man seine Hole-Cards nochmal checken, ehe man All-In geht.
Hier die Stellungnahme von Daniel im Wortlaut auf Deutsch:
Vor einigen Stunden hat Seth Palansky bei mir angerufen und mich informiert, dass es während der WSOP in Las Vegas einen Fehler bei der Addition der POY-Punkte gegeben habe.
Offenbar haben sie mir Punkte für einen Cash in einem Event gegeben, bei dem ich gar nicht im Geld gelandet bin, dem $1000 NLH Online Event. Die Auswertungen dieser Turniere dauern immer ein wenig länger, bis sie online sind, da erst verifiziert werden muss, welcher Nickname zu welchem Spieler gehört.
Für dieses Turnier wurden mir ungefähr 213 Punkte gutgeschrieben. Bis zur WSOPE in Rozvadov ist dieser Fehler, der mich und etwa 15 weitere Spieler sowie deren POY-Punktestand betrifft, niemand ausgefallen.
Das ist eine unglückliche Situation, aber Fehler passieren und das Leben geht weiter. Ich freue mich echt für Robert Campbell, weil ich weiß, was dieser Titel für ihn bedeutet, und weil mir scheint, dass er ihn nach zwei gewonnenen Bracelets in diesem Jahr verdient hat.
Außerdem ist er ein netter Kerl, was mir hilft.
Als ich die Nachricht erfahren habe, hat sie mich merkwürdigerweise nicht aus der Bahn geworfen. Ich war von mir selbst überrascht. Kein einziges negatives Gefühl und kein Verlustgefühl. Natürlich hätte ich meine Strategie in Rozvadov verändert, wenn ich die richtigen Punktzahlen gewusst hätte. Mir fallen mehrere Hände ein, die ich schon vor dem ebenfalls betroffenen Colossus anders gespielt hätte.
Dazu ein offensichtliches Beispiel. Beim 25k Short Deck habe ich auf der Bubble QQ nach nur einem gegnerischen Raise gefoldet, weil ich dachte, der Cash und die Punkte würden meine Siegchancen beim POY erheblich verbessern. Hätte ich gewusst, dass ich weiter zurücklag als gedacht (213 Punkte zu viel auf dem Konto…), hätte ich diese Hand gespielt und wer weiß, was dann passiert wäre.
Letztlich bereue ich aber gar nichts. Ich bin mit einem klaren Ziel nach Rozvadov gefahren und verfolgte die Strategie, bis zum Ende möglichst viele Punkte zu holen, und soweit ich es weiß, ist mir das gelungen. Was die Reise betrifft, kann ich sie nur als Erfolg betrachten. Ich verließ Rozvadov mit dem Gefühl, gute Entscheidungen getroffen zu haben, und das hat sich durch die heutige Nachricht nicht geändert.
Ungefähr 90 Prozent meines Gesprächs mit Seth hatte nichts mit dem Rechenfehler zu tun. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, die vielen Fehler des POY-System anzusprechen, die ich das ganze Jahr bereits diskutiert hatte. Wir wollen, dass die Spieler weit kommen, Finaltische und Turniersiege erringen wollen, und nicht, dass sie sich möglichst spät einkaufen, um einmal zu verdoppeln und dann die Punkte für den Min-Cash abzustauben. Das ist dumm, und ich würde mich blöd dabei fühlen.
Ich war derjenige, der sich seit Jahren am lautstärksten dafür eingesetzt hat, dass das System verbessert wird, und man muss zugeben, dass es durch einige Änderungen auch verbessert wurde. Das betrifft vor allem die Turniersiege, die doppelt so viele Punkte bringen wie zweite Plätze. Damit wird es viel schwieriger, den POY-Titel ohne Bracelet zu gewinnen, was ich für gut halte. Zum Beispiel bringen zwei zweite Plätze genauso viele Punkte wie ein Sieg. Natürlich ist es schwieriger, zweimal das Heads-Up erreichen als ein Turnier zu gewinnen, aber jemand, der mehrere Bracelets gewinnt, sollte in Form von POY-Punkten angemessen belohnt werden.
Ich habe auf Twitter mehrere Ideen formuliert, wie das System verbessert werden könnte, hier sind die entscheidenden Punkte:
- Begrenzt die Zahl der Turniere, die in die Wertung eingehen, auf 12. Dadurch haben mehr Spieler die Chance, POY zu werden, und Qualität geht vor Quantität. Die Spieler werden so nicht mehr dazu verleitet, Min-Cashes hinterherzujagen.
- Reduziert den Wert eines Min-Cash in einem großen Turnier mit vielen Starttagen. Es ist keine Leistung, beim Colossus im Geld zu landen, wenn es neun Flights mit Re-Entry-Möglichkeit gibt.
- Die Min-Cashes sollten nicht alle gleich gewertet werden. Ein Min-Cash in einem Feld mit 3000 Spielern ist deutlich leichter zu erreichen als einer in einem 10k-Mixed-Turnier mit 100 Spielern. Beim zweiten Fall ist es viel schwerer, im Geld zu landen, und beim ersten Fall ist es vor allem deswegen keine besondere Leistung, weil 15 Prozent des Feldes ins Preisgeld kommen.
- Senkt die Punktzahl, die es beim Main Event zu gewinnen gibt. Auch wenn es dort ein paar Punkte weniger zu gewinnen gäbe, wäre es immer noch das wichtigste Turnier, was die Anzahl der Punkte betrifft. Das ist wichtig, wenn es um die Anzahl der Cashes geht, die zählen.
- Man sollte die Punkte durch die Anzahl der Entries teilen. Spielt jemand ein Turnier mit unbegrenzten Re-Entries und kauft sich viermal ein, sollte seine Punktzahl durch vier geteilt werden. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Spieler bekommt 1.000 Punkte, hat aber drei Re-Entries gemacht. Dann würde er nur 250 Punkte bekommen.
Ich hänge nicht so sehr an diesem letzten Punkt, aber viele andere schon.
Vor einigen Jahren habe ich mich über das POY-System beschwert, worauf viele meinten: “Warum hörst du nicht auf zu jammern und änderst deinen Spielplan?“ Das hätte geheißen:
Entweder A) mich nicht mehr um den POY zu kümmern und weiter die Turniere zu spielen, bei denen ich nur geringe Siegchancen habe
Oder B) die kleinen Turniere mit vielen Spielern zu spielen, bei denen es “Gratispunkte” gibt, damit ich überhaupt eine reelle Chance habe.
Ich entschied mich letztlich für B), hatte dabei aber nie ein gutes Gefühl. In Rozvadov habe ich einen Stack aufgegeben, während ich an einem anderen Turnier teilnahm, um Punkte zu sammeln. Das fühlte sich mies an, obwohl es die richtige Strategie war und andere das auch tun.
Ich war stolz darauf, so hart für den Sieg zu arbeiten, doch wenn ich den POY-Titel erringe, möchte ich nicht, dass andere daran zweifeln, ob ich ihn verdient habe. Ich hoffe auf ein System, das Qualität über Quantität stellt, und ich glaube, dass die WSOP daran arbeitet und letztlich die richtige Lösung findet.
Es ist schwer, ein System zu entwickeln, dass allen gefällt, aber ich denke, meine Ideen würden den Grindern nützen, die in den großen NLHE-Turnieren weitkommen, und gleichzeitig den Spielern, die in 10k-Championships starke Resultate erzielen. Wir müssen einfach anfangen, die Min-Cashes als das zu betrachten, was sie sind. Wenn man sich das große Ganze anschaut, sind sie keine besonders große Leistung.
Was nehme ich von dieser Erfahrung mit? Tja, ich versuche mich immer in der Rolle des Verantwortlichen und weniger des Opfers zu sehen.
Die Opferversion sieht so aus: Verdammt, ich wurde so gelinkt. Ich hätte anders gespielt, und DIE haben mich mit diesem Fehler gelinkt.
Mir gefällt die eigenverantwortliche Version besser. Ist mir etwas wichtig, muss ich die Punkte selbst kontrollieren und überprüfen, ob sie richtig zusammengezählt wurden. Zweimal oder sogar dreimal. Ich habe den Zahlen der WSOP getraut, aber ich hätte dennoch überprüfen müssen, ob die auf der Website angegebenen Zahlen stimmen. Das habe ich nicht gemacht, werde es aber in Zukunft tun.
Mit dem Alter wird man weiser, das glaube ich wirklich. Wäre mir das mit 25 Jahren passiert, als ich noch eingebildeter war, hätte ich die Nachricht anders aufgefasst. Ich kann ehrlich bekennen, dass ich keine negative Emotion wie Verlust oder Ärger empfinde. Mein Leben ist großartig. Ich liebe den Grind, die Reisen und ich trauere Dingen nicht hinterher.
Noch einmal meine Glückwünsche an Robert Campbell, du bist trotz dieses unglücklichen Fehlers der absolut verdiente Champion. In den Geschichtsbüchern sollte neben deinem Namen kein Sternchen stehen. Du hast bei der WSOP und der WSOPE unglaubliche Leistungen gezeigt, die dir niemand nehmen kann.
Diese Reaktion zeigt einmal mehr, welch großer Sportsmann Daniel Negreanu ist!