Poker in der Großstadt: stern-Reporter in illegalen Poker-Runden

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Poker fasziniert die Menschen seit jeher. In den Mainstreammedien wird Poker-Symbolik und -Rhetorik in vielen Instanzen genutzt, in denen sich Risiko-Entscheidungen mit Kalkül und Strategie mischen. Dabei werden oft Klischees über die Maßen bedient, wie die Wild West-Mentalität, der Weg vom Tellerwäscher zum Millionär, Menschen die Haus und Hof verspielen und natürlich immer wieder die Fragen, ob Poker nicht doch Glücksspiel, und ob es legal ist. – Einem realitätsnahen Pokerbild hat das Nachrichtenmagazin „stern“ in seiner „Reportage der Woche“ viel Platz eingeräumt. Auch wenn der Aufmacher und die Schlagzeile von der Illegalität Boulevard-Plattitüden entsprechen, sind die Eindrücke am Tisch doch recht authentisch. Der Leser wird vom früheren Beckmann-Redakteur Finn Rütten mit in die (halb-)privaten Großstadt-Cashgamerunde genommen. Der 31-Jährige, der dort seinem Hobby nachgeht, kann seine Erfahrungen als Sport-Redakteur und Pokerspieler gleichermaßen in die Reportage einbringen. Rütten, der in Mittweida Angewandte Medien studierte, ist Poker-Veteran und geht dem Spiel seit vielen Jahren ambitioniert in Ring Games nach. In Pokerturnieren ist er auch gelegentlich anzutreffen. Im King’s Resort Rozvadov konnte er z.B. als 14. bei einem €300+€35-Turnier cashen.

Glück! – Oder doch Können?

„Poker ist ein Glücksspiel.“ So beginnt der zweite Absatz der Reportage, die lobenswerterweise dem Thema Poker einiges an Raum einräumt und auch durch die authentische Darstellung der Gepflogenheiten und Charaktere unterhaltsam zu lesen ist. Bei der Berücksichtigung von Hintergrundinfos und spielspezifischen Fakten, zeigt der Artikel jedoch Lücken. Dass Poker auf spieltheoretischer und mathematischer Grundlage kein Glücksspiel ist, nennt der Autor an dieser Stelle (noch) nicht, und auch dass Poker in Deutschland aufgrund staatlicher Räson in den Glücksspielsektor eingegliedert, in den meisten anderen Ländern jedoch Geschicklichkeitsspiel ist, lässt er unter den Tisch fallen. – Erst später zeigt der Gelegenheitsspieler Rütten, dass er es besser weiß: „Können […] macht aus Poker kein Glücksspiel wie Roulette oder Black Jack. Beim Poker dominiert der Glücksfaktor nur kurzfristig. Langfristig haben alle gleich viel Glück oder Pech. Spielt man besser als seine Gegner, so wird man über lang bessere Entscheidungen treffen, sein Geld auf bessere Wahrscheinlichkeiten investieren und langfristig besser abschneiden.“

Spezielle Klientel unter sich…

Ein weiterer Punkt, der hinkt, ist die Opposition von privater Pokerrunde und Casino. Begründung für die private Pokerrunde – laut Rütten – ist, dass die Spielerschaft, die in privaten Pokerrunden spielt, „eine spezielle Klientel [ist], die in dieser illegalen Runde zockt, die gerne unter sich bleibt“. Um nicht in Gänze als Drehbuchautor für den nächsten Tatort in Betracht gezogen zu werden, fügt er noch schnell als weiteren Grund an, dass hier „eine sehr freundschaftliche Grundstimmung“ herrscht. Zuvor hatte der Autor dem Besuch einer privaten Pokerrunde mit 5% Rake bei freier Verkostung den wirtschaftlichen Sinn abgesprochen, da „in vielen deutschen Casinos maximal drei oder vier Big Blinds pro Hand als sogenannte Tax genommen“ werden. Dass Spieler bei einem evtl. entlegenen Casinobesuch, bei dem alle Services und Verkostungen extra berechnet werden, in Deutschland auch je nach Entnahmezeitpunkt zwischen 2% und 10% Rake zahlen, das sich im Normalfall an der Potgröße und nicht den Blinds orientiert, findet keine Beachtung.

Ein typischer Pokerabend…

Neben den polemischen Plattitüden, die zur Veröffentlichung in einem Mainstreammedium in Deutschland immer noch gehören, werden die Abläufe und die Personage einer typischen Cashgamerunde charakterisiert: Z.B. wie sich die Stacks beim Nachkaufen an den Big Stacks orientieren, und wie dadurch auch die Pre-Flop Betsizes angepasst werden. Oder es werden die Gepflogenheiten beschrieben, wie sich Situationen am Tisch oder die Bezahlung des Servicepersonals regeln, oder wie sie sich die Teilnehmer über Getränke, das Essen vom Lieferservice oder an den Tisch gebrachte Zigaretten freuen, die sie ja schließlich selbst mit dem Rake an den Veranstalter bezahlen.

Der Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren … macht süchtig?

Auch der Autor nimmt sich von den Handlungen am Tisch und den eigenen Reaktionen darauf nicht aus. Allerdings stellt er seinen Enthusiasmus, sowie die damit verbundenen Gewinnmöglichkeiten, gemäß dem Tenor des Artikels wiederum klischeehaft da, um das Thema Spielsucht zu bemühen: „Wer schon einmal den Unterschied zwischen null und 860 Euro von einer einzigen Karte hat entscheiden lassen, der weiß, warum Glückspiel süchtig machen kann.“

Dicke Uhren, Silberringe und fette Autos…

Die Geschichte der Pokerrunde gibt jedoch Situationen wie das Spielen auf Pump, Soft Play  unter Freunden, und die Kommentare am Tisch sehr authentisch wieder. Auch das typische Auftreten in privaten Runden, mit meist schnell noch besorgten Statussymbolen, wie dicker Uhr oder Ringen oder dem geleasten Auto, kommt hier nicht zu kurz und ist kurzweilig eingearbeitet.

In der privaten Pokerrunde … funktioniert echtes Poker nicht

Ein bisschen Pokertheorie darf natürlich auch nicht fehlen, auch wenn die Abstraktion, dass der tight-aggressive Spieler im Cashgame wohl der lukrativste Spieltyp wäre, durch die fehlende Adaptionsleistung des Protagonisten direkt als nicht optimal entlarvt wird: „Und genau hier offenbart sich das größte Problem dieser illegalen Runde. Bluffen funktioniert nur, wenn die Gegner auch Angst um das Geld haben und in der Lage sind, eine getroffene Hand auch mal wegzuschmeißen. Das ist hier kaum der Fall. Zudem spielt man eine Pokerhand am besten gegen einen Gegner, heads-up. Das erhöht die Chance zu gewinnen. Er oder Ich. Hier jedoch sehen immer mindestens drei, vier Spieler den Flop, oft noch mehr, weil alle mit fürchterlichen Karten hunderte Euro bezahlen. Hier funktioniert Pokern im eigentlichen Sinne nicht.“

Warum darf ein Pokerartikel in den Mainstreammedien nie anders als klischeehaft sein?

In den Beschreibungen, der Sichtweise und der Repetition des selben Adjektivs (illegal) in kreativer Kombination, offenbart sich das größte Problem eines effekthaschenden Mainstreamartikels. Statt zu zeigen wie Poker wirklich ist, wird selbst authentischen Darstellungen klischeehaftes Halbwissen beigemischt, um den Stereotypen der Leser genüge zu tun. Ein Medium wie „stern“ und auch der pokeraffine Autor hätten dies nicht nötig, und könnten mit ihren redaktionellen Fähigkeiten auch das Interesse der Leser wecken, ohne auf Stereotypen wie Glücksspiel, Migrationshintergrund, Spielsucht und Illegalität zurückgreifen zu müssen – aber anscheinend ist dies der Weg des geringsten Widerstands oder der Weg durch die Redaktionskonferenz, die eben auch eine „Reportage der Woche“ schon in ihrer Entstehung klar umreißt.

Alles ist illegal…

Bei dem oppulenten „illegal“-Gebrauch den Finn Rütten mit seinen wiederkehrenden Formulierungen „illegale Pokerhöhle“, „illegale Schulden“, „illegale Pokerrunde“, „illegales Einkommen“, „illegales Glücksspiel“, „illegale Zockerhölle“, „illegale Einnahmen“ an den Tag legt, fragt man sich, ob es nicht illegal ist, realitätsgetreu über Poker zu berichten.

Wer sich über Pokercontent in den Mainstreammedien freut, seine eigene Pokerrunde womöglich portraitiert sieht, oder einfach neugierig auf die Reportage ist, findet den Artikel von Finn Rütten hier:
stern „Reportage der Woche“: Von einer Nacht in der illegalen Zockerhölle
(Anm. d. Red: Die url bzw. der Titel wurden nachträglich geändert und sprechen jetzt nicht mehr einheitlich von „illegaler Zockerhölle“ bzw. „illegaler Zockerhöhle“)

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