Sondereinsatzkommando und Selbsthilfegruppe – Suchthilfe auf ZDF-Art

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Poker boomt wie noch nie – die Spieler*innenzahlen gehen bei jedem Turnier durch die Decke und Rekorde purzeln am Stück. Kurzum – Poker ist ein Publikumsmagnet. Da verwundert es nicht, dass das sich auch Fernsehsender dieser Thematik annehmen. Wer jetzt an Strategie-Content, Spielerbiographien oder an Poker-Know-How für die Business-Welt denkt, sieht sich getäuscht: Der Ansatz und Titel der ZDF.reportage von Sebastian Galle auf dem Youtube-Kanal von ZDFheute ist „Vorsicht, Glücksspiel! – Zocken bis zur Pleite“

Poker = Glücksspielsucht? Für das ZDF wohl schon!

Bei solch einer Thematik geht man davon aus, dass die Suchtpotentiale verschiedener Spiele und auch Altersgruppen in den den Fokus rücken. Bilder von Senioren, die stumpf vor Slot-Maschinen sitzen kommen einem in den Sinn, oder Treasure Chests, die Kinder en masse in Handy-Spielen aufmachen. – Doch wie startet das öffentlich-rechtliche ZDF seine Berichterstattung: Mit einer Poker-Razzia in einer Sportsbar!

Welches Spiel wird hier gesucht: Chips, Spielkarten, Pokertisch

Durchaus stolz, ob des gelungenen Einsatzes liefert Kriminaloberrat Benjamin Heller von der Kölner Polizei den ersten O-Ton der Reportage: „Dadurch, dass der Zugriff so schnell funktioniert hat, konnten wir tatsächlich die Spieler am Tisch antreffen“ – einem „versteckten Pokertisch“, wie der Sprecher der Reportage, Emmanuel Zimmermann, weiß. Heller berichtet weiter von der unfassbaren, durch das Einsatzkommando beobachteten Szene: „Die Jetons […] lagen noch vor ihnen, die Spielkarten waren […] gerade ausgeteilt.“ Routiniert kombiniert die Kölner Polizei aus den Indizien: „[D]as Spiel war in vollem Gange!“

Razzia oder Day 2? – Ausschnitt aus: ZDF.reportage – Vorsicht, Glücksspiel! Zocken bis zur Pleite

Diese dramaturgische Steilvorlage des Kölner Einsatzkommandos wird zum Anlass genommen, um die Situation auf BILD-Zeitungs-Niveau jetzt auch den letzten Rundfunkbeitragszahler*innen klar zu machen, die nicht schnell genug umschalten konnten: Es habe einen verdeckten Hinweis auf die Pokerrunde gegeben und „die mutmaßlichen Täter wurden auf frischer Tat ertappt!“ Zum Zeitpunkt des Zugriffs hätten 9 Personen in dem Pokerzimmer gepokert.

Ein anonymer Hinweis führt das SEK zum Pokertisch

Wer jetzt denkt, dass jeder normale Mensch ohne kriminaltechnische Ausbildung zu dem Schluss gekommen wäre, dass 9 am Tisch sitzende Menschen mit ausgeteilten Karten und Chips vor sich dort wahrscheinlich gepokert haben, muss sich von Einsatzleiter Heller eines Besseren belehren lassen: „Wenn man in das Objekt hineingeht, gibt es den Eindruck her, es sei ein ganz normale Lokalität, wo man Getränke zu sich nehmen kann und einfach aufhalten kann, wie in einer Bar üblich.“ Doch die Pokerspieler*innen würden eben nicht an der Bar sitzen und spielen, sondern das in einem abgetrennten anderen Raum tun.

Der Stimme aus dem Off klärt die Zuschauer auf, dass illegales Glücksspiel in den vergangenen Jahren in Deutschland massiv zugenommen hat. Dabei seien vor allem Karten- und Würfelspiele verbreitet, aber auch Spielautomaten und Internet-Wetten, heißt es in der Reportage. Herr Heller von der Kölner Polizei führt auf, welche Spiele im Fadenkreuz der Fahnder sind, und natürlich fängt er mit dem Allerschlimmsten zuerst an: „Poker, Barbooth, aber auch der illegale Gebrauch von Glücksspielgeräten.“

Pokerraum ist eine Zockerbuden-Parallelwelt

Off-Sprecher Zimmermann dehnt seine Stimme jetzt bis in die nasale CNN-Tonlage und bringt auf den Punkt, was ein Pokertisch in einer Sportsbar darstellt: „Die geheimen Zockerbuden […] sind eine Parallelwelt zum legalen Glücksspiel.“ – Starker Tobak für den gemeinen GEZ-Zahler und die gemeine Rundfunksbeitragzahlerin.

So gar nicht parallel: Die legale Glücksspielwelt

Nachdem die Zuschauer*innen Teil der beeindruckenden Kombinationsgabe der Protagonisten geworden, und zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die Sportsbar mit Pokertisch in Wirklichkeit eine „Zockerbude“ aus einer „Parallelwelt“ war, wechselt das Aufnahmeteam den Standort, sogar das Bundesland – von Nordrhein-Westfalen nach Hessen. In ein legales Glücksspieletablissement, die Players Place Spielhalle in Wiesbaden. Hier werden die vorrangig Senioren an den Spielautomaten nicht nur via Kameras überwacht, sondern auch auf Rundgängen, bei denen auch gleich die Aschenbecher geleert werden, damit der Aufenthalt auch möglichst lange möglichst angenehm bleibt – ohne Aggressivität, wie die Spielhallenaufsicht betont.

Zurück zum Thema: Es wird doch noch seriös

Zum Glück [sic] wendet sich die ZDF.reportage mit dem ernsten Thema ab hier ihrer informativen Seite zu und beschäftigt sich nicht mehr mit Klischees, sondern mit Einzelschicksalen Betroffener. Ab Minute 4:22 ist der Filmbeitrag von Sebastian Galle richtig sehenswert und gibt persönliche Einblicke – ganz ohne schnöseligen CNN-Sprech und BILD-Zeitungs-Schlagzeilen.

Razzia, die Zweite: Erst die Spieler, dann die Autos!

Leider gibt es dann aber dann noch den obligatorischen Lassofang, bei dem die Zusehenden am Ende (ab Minute 24:06) zurück in die Zockerbuden-Parallelwelt gebeamt werden. Hier kann dem Einsatzkommando von Benjamin Heller dabei zugesehen werden, wie sie nun die Autos der Pokerspieler durchsuchen – möglicherweise nach Jetons für ein Rebuy oder Schlimmerem. Damit, so heißt es im Erzähltext der Reportage, hätte das Einsatzkommando ein Nadelstich gegen die Szene gesetzt.

Zum Ende: Der Fokus auf das Wesentliche

Am Schluss wechselt die Reportage noch einmal zu der Selbsthilfegruppe von Betroffenen, die in der Reportage zu Wort kamen und die Zuschauer*innen an ihren Schicksalen und ihrer Bewältigung teilhaben ließen. Damit hat der Redakteur noch einmal die Kurve bekommen, und falls ihr euch mit Teilen aus dem Beitrag identifizieren konntet, hoffen wir, dass ihr die auch bekommt!

Wichtige Kontaktstellen für Betroffene:

Wer das Gefühl hat in schwierigen Lebenssituation das Spiel zu suchen, Spielsucht zu verspüren, oder sich über Risiken und Gefahren aufklären lassen will, kann unter dieser kostenfreien Nummer der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an Hilfe gelangen: Telefon: 0800 1 37 27 0
Über die BZgA-Nummer können auch Informationen zu Hifsangeboten vor Ort eingeholt werden.
Alternativ können Hilfsangebote vor Ort über die Internetseiten von „Check Dein Spiel“ gefunden werden. 

Wer gerne möchte, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit den Rundfunkgebühren keine Effekthascherei (wenn auch nur zum Einstieg in die Reportage), sondern fundiert recherchierte Reportagen, finanziert – kann sich gerne an den ZDF-Zuschauerservice wenden.

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