Das WSOP Main Event 2024 ist Geschichte und Geschichten hatte es über die Maßen zu bieten, von sicken Setups, Bad Beats, Lucky Draws, über Soulreads, Punts bis hin zum Bubblen mit AKo gegen 83s! Letzteres passierte genau so einem bekannten Spieler der deutschen Pokercommunity, Christian Stratmeyer! Wie der Pokerspieler aus Bremen sich fühlte als er unter 10.112 Entrys bei 1.516 bezahlten Plätzen aus dem $94.041.600 Preispool genau 1.517ter wurde – und wie das Ganze doch noch ein gutes Ende fand, erzählt er im Exklusiv-Interview mit hochgepokert.
HGP: Erst einmal das Wichtigste – Du warst in Las Vegas gesundheitlich nicht ganz fit. Wie geht es Dir jetzt, wo Du wieder zurück in Deutschland bist?
CS: Tatsächlich war Las Vegas dieses Jahr nicht so toll für mich. Ich hatte eine starke
Bindehautentzündung, die nicht weggehen wollte. Da sind die klimatischen Verhältnisse in Vegas – draußen trockene 45 Grad, in den Casinos extreme Klimaanlagen – wohl das denkbar
Schlechteste! Ich habe dadurch kaum Turniere spielen können.
HGP: Was heißt kaum – welche Events hast Du bei der WSOP dieses Jahr gespielt?
CS: Durch meine Erkrankung leider so gut wie nichts. Ich habe vorm Main Event das 10k Mystery Bounty und das 5k Sat für’s 50k PLO jeweils mit Max Latereg gespielt. Max Latereg in
einem 10k Bounty ist natürlich nicht so richtig sinnvoll. Aber es war für die Augen wirklich
unangenehm länger am Tisch zu sitzen. Die Augen konnte ich dann auf dem Zimmer aber deutlich eher wieder schonen, als mir lieb war. Im Mystery Bounty kam ich an den Tisch, wurde direkt eingedealt, sehe noch im Stehen ein Openraise, eine 3-Bet, setze mich, sehe QQ in meinen Hole Cards und stelle meine 15 BB rein. Der Openraiser hat KK, und das 10k-Turnier war nach 30 Sekunden für mich beendet. Isi Bojang gab mir dann den Tipp, noch schnell zum 5k Sat für das 50k PLO zu gehen, denn dort war 10 Minuten später Latereg-Ende. Und wie soll es anders sein – die erste Hand, die ich spiele, floppe ich drei Paar auf einem trockenen Board. Tja, ich war leider drawing dead gegen Top Set. Also, nach einer Woche in Vegas die ersten beiden Turniere zu spielen, und dann nur zwei Hände – das hat gefrustet!
HGP: Das ist heftig! Wie lief es denn bis zur Bubble für Dich im Main Event?
CS: Eigentlich gut. Ich war zum Start immer noch nicht gesund, wollte es aber unbedingt spielen. Es ist einfach wirklich das beste Turnier der Welt. Zum einen ist die Struktur ein Traum, zum anderen hat man in keinem anderen 10k-Turnier so ein Teilnehmerfeld. An Day 1 hat man meistens keinen oder nur sehr wenige Pros oder starke Spieler am Tisch. Oft spielen Leute zum ersten Mal ein Turnier in einem Casino. Für die Amerikaner ist das Main Event einfach ein Traum, den sich viele einmal verwirklichen wollen. Man kann super spielen und hat viel Freude am Tisch. Im letzten Level trinkt dann oft der ganze Tisch noch ein Bier zusammen. Es macht einfach Spaß.
Ich hatte bis Tag 4 kein einziges All-In. Ich konnte meinen Stack durch die gute Struktur konstant ausbauen. An Tag 2 hatte ich nicht so einen guten Tisch, da habe ich mich sehr zurückgehalten und zugesehen, dass ich den Tag überstehe. An Tag 3 hatte ich dagegen einen super Tisch. Ich konnte meinen Stack mit sehr wenigen Showdowns gut auf ca. 500k ausbauen. In einer der letzten Hände kam es leider zu einem Pot, der mich über die Million gebracht hätte, leider habe ich ihn aber verloren. Es war ein Herocall am River, der leider nicht gut war. Mir war dann eigentlich klar, dass wenn der Call nicht gut ist, ich mich mit dem restlichen Stack (ca. 130k / ca. 16 BB an Tag 4) ins Geld folden muss und kann. – Eigentlich.
HGP: Ja, eigentlich. – Im prestigeträchtigsten Turnier, dem WSOP Main Event, hast Du dann unter den 10.112 Teilnehmern jedoch einen ganz besonderen Platz eingenommen… Wie oft wurdest Du darauf jetzt schon angesprochen?
CS: Tatsächlich sehr oft…
HGP: Was waren die witzigsten oder die nervigsten Kommentare, die Du bekommen hast?
CS: Während und nach der Hand waren einige Kameras auf mich gerichtet. Nachdem das ganze Prozedere vorbei war, sprachen mich direkt mehrere Reporter mit Kameras an. Die erste Frage war: „Christian, you are the bubbly boy, how does it feel?“ Ich war nicht geknickt und habe es mit Humor genommen, dass ich Bubble-Boy wurde. Schließlich war ich nicht zwangs-all-in, sondern habe mich bewusst für den Push entschieden und war mir des Risikos bewusst. Aber die Frage ist trotzdem schon lustig, ich glaube ich habe ironisch geantwortet „It feels great, thank you!“. Ob und wo das alles ausgestrahlt wurde … keine Ahnung.
HGP: Manche Pokerspieler stehen (oder sitzen) ja gerne im Mittelpunkt, oder freuen sich über (mediale) Aufmerksamkeit. Jetzt hat bei Deiner letzten Hand ja wirklich die ganze Pokerwelt zugeschaut. Die Bilder aus dem Horseshoe waren richtig surreal, wie alle Menschen an Deinen Tisch gekommen sind und quasi jede Kamera, jedes Hände vor Deinem Gesicht war. Wie war das für Dich?
CS: Ich brauche diese Aufmerksamkeit nicht. Sie stört mich aber auch nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass es tatsächlich für manche Leute ein Grund sein kann, eine der letzten Hände an der Bubble nicht zu spielen. Es ist schon Wahnsinn, was dann auf einmal abgeht. Und sicherlich auch einmalig. Normalerweise interessiert sich niemand für den Bubble-Boy eines Turnieres. Das Main Event ist einfach in allen Belangen anders und „magisch“.
HGP: Jetzt bist Du, zumindest in diesem Jahr, der berühmteste Bubble-Boy der Welt. Ist das ein Titel in Deiner Pokerkarriere, der Dir einfach noch gefehlt hat? Kannst Du den gut annehmen, oder ist das etwas, dass Du lieber vergessen würdest?
CS: Haha, ja, der hat noch gefehlt. Tatsächlich wurde ich, glaube ich, noch nie direkter Bubble-Boy in einem Turnier. Aber realistisch gesehen war es eigentlich nicht wirklich der Bubble-Boy, das war der Spieler, der davor gebustet ist. Für mich ist man Bubble-Boy, wenn man leer ausgeht. Das war bei mir ja nicht so. Ich war nur traurig, dass ich aus dem Main-Event ausgeschieden bin. Im ersten Moment dachte ich allerdings: „Oh Gott, das darf jetzt nicht sein, dass du tatsächlich im Main Event Bubble-Boy wirst“. Es ist halt einfach extrem unwahrscheinlich, immerhin wurde noch an knapp 200 Tischen gespielt und ich weiß auch, dass man nach ICM mit meinem Stack in der Situation eigentlich nicht bubblen „darf“.
HGP: Die Art, wie Du rausgeflogen bist, hat ja schon etwas stutzig gemacht. Wenn ich das richtig gesehen habe, waren in der dritten Hand des Hand-for-Hand-Plays an 6 verschiedenen Tischen Spieler all-in, covered & called. In den anderen Händen waren es Konfrontation wie Könige gegen Asse, Queens gegen Ass-König, usw. und Du läufts mit AcKd gegen … 8c3c – wie kam es dazu? Und wie hast Du Dich gefühlt als Du gesehen hast, was Dein Gegner umdreht?
CS: Ja, es war tatsächlich etwas eigenartig, seine Hand zu sehen. Zumal wir am Tisch während der langen Pausen zwischen den Händen genau über diese Situationen gesprochen haben. 5 Minuten vorher hat genau er mit mir darüber gesprochen, dass nur Asse und evtl. Könige in diesen 3-4 Händen von einem Smallstack reingehen. Er wusste sogar, dass ich drei Hände zuvor schonmal AKo bekommen und gefoldet habe. Ich habe hinterher mitbekommen, dass er scheinbar kein ganz unbekannter Spieler ist und die mediale Aufmerksamkeit mag. Er kam dann auch direkt zu mir rüber und wollte für die Kameras Arm-in-Arm mit mir mitfiebern. Er sagte auch, dass er mich sympathisch findet und mir die Daumen drückt. Das war schon etwas merkwürdig. Ich meine: dann folde 83 doch einfach… Er hatte einen sehr großen Stack, meine ca. 8bb taten ihm nicht wirklich weh, und ich denke er wollte die Kameras gerne da haben und eventuell derjenige sein, der die Bubble platzen lässt.
HGP: War Dir in der Situation klar, dass es wirklich die Stone Bubble im Main Event für Dich wird oder werden könnte? Und war Dir bewusst, dass der Bubble Boy das Buy-In für das Main Event 2025 bekommen wird?
CS: Wenn ich davon ausgegangen wäre, dass ich Bubble-Boy werden und leer ausgehen könnte, hätte ich AKo natürlich gefoldet. Man darf hier rechnerisch mit 8bb an der direkten Bubble-Hand gar nichts anderes machen. Ich habe aber tatsächlich genau über Situation kurz vorher nachgedacht und dann den Floorman gefragt, ob der Bubble-Boy wieder ein Ticket für das nächste Jahr bekommt, was er bejahte. Man hat zwischen jeder Hand während des Hand-for-Hand-Spieles ca. 10 Minuten Zeit. Ein Freund kam zur Rail und wir haben uns unterhalten. Lustigerweise habe ich es fast vorhergesagt. Ich habe ihm erzählt, dass ich eben AK gefoldet habe, die Hand aber jetzt nicht mehr folden würde, da der Bubble-Boy quasi 10k bekommt. Da die erste Payoutstufe 15k sind, ist das Risiko dann zu busten völlig OK, wenn man die Chance hat die Chips wahrscheinlich gut reinzubekommen und sich zu verdoppeln.
HGP: Bis Du das bekommen hast (und es zu dem High Card Draw kam), musste ja erst einmal ganz genau geklärt werden, wer auf der Bubble ausgeschieden ist und ob es noch ein geteiltes Payout gibt. Wie ist das für Dich abgelaufen? Warst Du da sofort im Bilde oder wolltest Du die Situation schnell hinter Dich bringen oder war es besonders spannend?
CS: Tatsächlich war ich sofort im Bilde. Es gab in der Hand insgesamt sechs All-Ins mit einem Call. Alle Hände blieben verdeckt, bis der Turnierdirektor, die Kameras, etc. an den Tisch kamen. Dann wurde auch über Lautsprecher jede Hand erklärt, so dass man genau weiß, was an den anderen Tischen war. Wir waren der letzte Tisch. Ich wusste also schon, dass noch ein anderer Spieler ausgeschieden ist. Ich war dann aber über das Ausscheiden enttäuscht und wollte es lieber schnell hinter mich bringen.
HGP: Als dann feststand, dass ihr den geteilten Mincash bekommt, ging es ja zu dem Draw um das Main Event Buy-In für das nächste Jahr. Was hattest Du in der Situation für Gedanken? Und hast Du mit dem anderen Bubble Boy-Anwärter, Lucas Reeves, in der Zwischenzeit geredet?
CS: Das Ganze ging dann sehr schnell und uns wurde auch nicht viel erklärt. Lucas Reeves ist ein super netter Kerl. Während dem Prozedere konnten wir wenig sprechen. Hinterher, auf dem Weg zur Kasse, haben wir uns länger unterhalten. Ich habe dann erst mitbekommen, dass er sehr bitter mit Kings gegen Aces in einem 2 Millionen Pot gebustet ist. Er tat mir da schon leid. Er wirkte kaum enttäuscht, traurig, oder ähnliches. Ich muss sagen an seiner Stelle wäre ich richtig „on tilt“ gewesen.
HGP: Der Turnierdirektor Jack Effel meinte dann am Mikrofon ja, dass ihr euch darüber einigen sollt, wer zuerst eine Karte zieht. Wie habt ihr/hast Du entschieden, dass Du anfängst.
CS: Ehrlich gesagt haben wir beide nicht richtig verstanden, was jetzt wie genau abgeht. Wir sind davon ausgegangen, dass eine Hand offen gedealt wird und wir nur Highcards für den „Seat“ an diesem Tisch ziehen. Auf einmal sagt der Turnierdirektor dann „Herzlichen Glückwunsch, du hast den Seat“, allerdings den für das WSOP Main Event 2025.
HGP: Gefeiert hast Du es nach außen nicht, dass Du mit dem gezogenen J den High Card Draw im Prinzip um die schlechtere Platzierung im Main Event gewonnen hast. Hast Du Dich zumindest innerlich darüber gefreut?
CS: Joa, schon ein wenig. Ich muss sagen, dass mich das Ausscheiden generell aber mehr enttäuscht hat. Es wäre für mich das Gleiche gewesen, wenn ich nach dem Platzen der Bubble gebustet wäre. Ich bin absoluter Hobbyspieler und komme leider aktuell kaum noch zum Spielen. Ich hätte das Main Event sehr gerne noch weitergespielt.
HGP: Bubble-Boy zu werden ist ja immer der denkbar undankbarste Spot in einem Turnier. In Deinem Fall war das im Prinzip ein ziemlich lukrativer Spot: Du hast ein halbes Payout ($7.500) und das Main Event Ticket ($10.000) bekommen. Mit diesen $17.500 hattest Du ja nicht nur Plus gemacht, sondern als 1.517ter auch mehr in der Tasche als die nächsten 266 Leute, die nach Dir gebustet sind (und mehr gab es mit $20.000 erst ab Platz 1.007). Wie siehst Du diese taktische Meisterleistung rückblickend?
CS: Das ist wirklich kurios. Ich habe mich ja bewusst für das Risiko entschieden, weil ich wusste, dass ich die 10k sicher habe. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es mehr werden könnte. Ehrlicherweise dürfte das eigentlich nicht so sein. Ich bin mit ein paar BB gebustet, gleichzeitig verliert Lucas einen 5x Average Pot. Ich bekomme $17.500, er $7.500. Das kommt mir sehr falsch vor. Ich denke eine fairere Regel wäre, dass entweder der größere Stack in dieser Situation den besseren Platz bekommt (und damit ITM ist), oder dass ausgelost wird, wer das Ticket bekommt und der andere ITM ist. Aber gut, ich hatte in dieser Situation großes Glück und möchte mich natürlich nicht beschweren.
HGP: In welcher Form hast Du das Ticket oder Buy-In für das kommende Main Event bekommen?
CS: Der Turnierdirektor hat meinen Ausweis fotografiert und sagte es wird vermerkt für nächstes Jahr. Ich vertraue ihm da mal, ansonsten gibt es ja ein paar Zeugen… (lacht)
HGP: Was war das Erste, das Du gemacht hast, als Du aus dem Horseshoe raus warst?
CS: Ich bin nicht der große Gambler, aber ich habe Maxi Lemanski bei den Payouts am Cashier getroffen. Er ist zeitgleich im 5k ITM gebustet. Wir sind dann mit ein paar anderen ins Aria und haben ein bisschen Tablegames gespielt.
HGP: Wie waren die Tage danach für Dich in Las Vegas noch?
CS: Ich bin am nächsten Tag nach Hause geflogen. Meistens bin ich ungefähr zwei Wochen in Vegas und lege den Rückflug so, dass ich ihn verschieben kann, wenn ich deep (Tag 5) im Main Event komme.
HGP: Regenerierst Du Dich noch von der WSOP oder hast Du konkret Turniere oder Cashgames im Auge, die Du in nächster Zeit spielen willst?
CS: Der Jetlag haut bei mir nach der Rückreise schon immer gut rein. Ich bin selbstständig und habe sonst einen sehr geregelten Tagesablauf. Die letzte Woche war schon anstrengend. Aber jetzt geht es mit der Familie nach Mallorca. Da kann ich mich zwei Wochen gut erholen. (lacht)
Ich habe aktuell leider nicht viel Zeit zum Pokern. Auf jeden Fall möchte ich möglichst viele Events der WSOPE im King’s spielen. Ich bin jetzt wieder angefixt muss ich sagen. Und ein Bracelet ist schon ein Traum von mir. Eventuell machen wir vorher noch einmal einen Nordderby Stream (PLO Cash Game) im King’s. Mal schauen.
HGP: Da Du jetzt schon weißt, dass Du das Main Event 2025 spielen wirst: Hast Du Dir dafür etwas Spezielles vorgenommen, oder einen Plan, was Du 2025 in Las Vegas umsetzen willst?
CS: Eigentlich alles wie immer: Ich werde ca. zwei Wochen in Vegas sein. – Ich freue mich jetzt schon drauf.
HGP: Und eins dürfen wir natürlich nicht vergessen zu fragen: Was rätst Du allen, die in einem großen Event auf der Bubble short sind am besten zu tun?
CS: Versucht nicht Bubble-Boy zu werden! (lacht)
Wenn man an der Bubble einen großen Stack hat, dann ist sie ein hervorragender Spot um sehr aktiv zu werden, die Smallstacks unter Druck zu setzen und so sehr viele Chips einzusammeln. Ansonsten empfehle ich zu versuchen, dass man gar nicht super short an die Bubble kommt.
HGP: Danke, Christian, dass Du Dir die Zeit für das kurze Interview genommen hast!
CS: Klaro, gerne.
Das Interview für hochgepokert.com führte Jan Schwarz.